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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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floh aus der Stadt, um in Toulouse oder den einsamen Bergtälern der Pyrenäen Schutz zu suchen.
    Die Sattlerin, die Kerzenzieherin und ihre Freundinnen wussten allerdings nicht, wohin sie hätten gehen sollen. Alles, was sie besaßen, befand sich innerhalb der Wehrmauern, die die Anhöhe über dem Flüsschen umspannten. Die Frauen hatten ihr ganzes Leben in der Festung verbracht, bewacht von zweiundfünfzig Türmen. Ratlos und angstvoll versteckten sie sich in ihren Häusern, während die Schwarzmagier Durchsuchungen vornahmen, Brunnen versiegelten und Geschäfte kurz und klein schlugen. Offenbar suchten Velascos Soldaten nach den Anführern des Aufstands – nach all jenen, die an diesem Tag einen Fluch gegen den neuen Schlossherrn verhängt hatten.
    Als sie die Männer mit ihren Messingstäben und den umgedrehten Fünfzacksternen durch die Gasse schreiten sah, bekam es die Garnzwirnerin mit der Angst zu tun. Eilig packte sie ihre Sachen und schlüpfte durch die Hintertür ins Freie. Doch als sie zum Tor kam, war es bereits zu spät. Die letzten Ochsengespanne, die über die Brücke rollen wollten, wurden aufgehalten. Auch einen bewaffneten Reiter mit Harnisch und Wappenschild drängten die Schwarzmagier zurück. Dazu brauchten sie nicht mehr als ihre knisternden Stäbe, die durch das Wintergewitter aufgeladen schienen. Der Ritter schimpfte, doch dann wendete er sein verängstigtes Pferd und trabte durch die eisigen Gassen zurück in die Stadt, um sich ein Gasthaus zu suchen. Die Macht des neuen Burgherrn schloss sich wie eine unsichtbare Faust um Carcassonne.
    »Geht nach oben«, sagte die Sattelmacherin zu ihren Kindern. Sie wollte nicht, dass die Kleinen hörten, wie sie und ihr Mann miteinander stritten.
    »Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen, du und die anderen Weiber? Was wolltet ihr denn beweisen, indem ihr Velasco verwünscht habt?«, zeterte der Sattler, während er alle Fensterläden verriegelte. » Maledicco und was weiter? Da könnt ihr den Herrn auch gleich öffentlich als untoten Wiedergänger beschimpfen! Davon verschwindet einer wie er nicht wieder.«
    »Du warst doch selber auf dem Platz«, gab seine Frau zurück. »Jetzt, wo er uns alle zu Verrat und Meuchelei aufgestachelt hat – Morrigan erbarme sich unserer armen Seelen –, nimmst du ihn in Schutz?«
    Der Streit der Eheleute verstummte, als draußen auf der Straße Schritte zu hören waren. Eine Abordnung Schwarzmagier marschierte heran, sie hörten es am Klingen der Messingstäbe, die bei jedem Schritt auf den Boden stießen.
    »Um Himmels willen«, raunte der Sattler seiner Frau ins Ohr. »Was soll denn jetzt aus uns werden?«
    Aber die Hexer gingen an dem Haus vorbei und bogen in die nächste Gasse ab.
    Es war die Hebamme, die sie als Erste verhafteten.
     

 
    Vanessas Gäste
    Paris im Februar 2012
    »Wie kommt man von einem zum anderen Ende der Stadt, wenn man kein Geld hat?«, murmelte Ravenna. Sie sprach diese Worte zu sich selbst. Durch das Fenster schaute sie auf die Lichter von Paris. Sie glitzerten verheißungsvoll – und unerreichbar.
    »Ein Limousinenservice steht uns heute Abend nicht zur Verfügung«, überlegte sie laut. »Bleiben uns also: das Taxi, was natürlich am bequemsten wäre. Die Métro, Straßenbahn, Bus – all das muss man bezahlen. Und wir haben gar nichts mehr. Nicht einen lausigen Cent.« Sie drehte sich um. »Oder hast du noch ein paar Münzen in der Tasche?«
    Lucian schüttelte den Kopf. Er hatte sein Schwert aus dem Gepäck geholt – das geheimste und gefährlichste Stück ihrer Ausrüstung. Behutsam legte er die Waffe auf das Bett. Er vermisste das Gewicht an der Hüfte, die Sicherheit, die ihm der schnelle Griff ans Heft vermittelte. Seit frühester Jugend hatte er eine Klinge getragen. Doch in Ravennas Welt war das unmöglich.
    Sorgfältig wischte er den Staub ab. Die schwarze Scheide wirkte unscheinbar. Der Griff war mit Lederstreifen umwickelt, dunkel vom Schweiß vieler Übungsstunden. Die Parierstange war schlicht, ebenso der Knauf. Ihren wahren Wert verbarg die Klinge unter dem Futteral.
    Lucian nahm das Schwert in die Hand und zog es ein Stück aus der Scheide. Auf der schimmernden Klinge ringelten sich dünne, schwarze Linien. Dreifache Spiralen, die kunstvoll ineinander verschlungen waren. Triskele, so nannten keltische Druiden diesen Schmuck. Die Spiralen waren durch Magie erschienen, als Ravenna die Waffe in den Strom tauchte. Nun waren er und sie durch die Macht des Schicksals

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