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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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herüber. »Ist es das, was du erwartet hast? Oder soll ich sie noch ein bisschen mehr antreiben?«
    »Es ist ganz nett«, murmelte Yvonne. Sie erinnerte sich nicht, Velasco um diese Art von Unterhaltung gebeten zu haben. »Allerdings begreife ich nicht, wieso du die ganze Stadt zusammengetrommelt hast. Ein paar Gaukler und Spielleute hätten es auch getan.«
    »Das wirst du gleich erfahren«, erwiderte der Hexer. Suchend drehte er sich um. Als er Oriana entdeckte, die in ihrem Umhang aus Rabenfedern herbeischritt, warf er ihr einen vernichtenden Blick zu. Dann klatschte er in die Hände.
    Mehr als dieses Geräuschs bedurfte es nicht, um dem tanzenden und taumelnden Volk Einhalt zu gebieten. Alle standen augenblicklich still. Die Musik brach ab. Plötzlich hörte man das Zischen und Knistern der Feuer. Der spanische Hengst blieb zitternd stehen. Seine sichelförmigen Ohren zuckten vor und zurück. Beklommen richteten die Leute die Blicke auf die drei Fürsten auf der Terrasse. Nein, dachte Yvonne dann. Unter dem Mantel legte sie verstohlen die Hand auf ihren Bauch. Vier Fürsten. Mit meinem Sohn sind wir wieder zu viert.
    »Ihr fürchtet mich«, stellte Velasco fest. »Allerdings glaube ich nicht, dass eure Furcht ausreicht, um zu erfassen, wozu ich fähig bin.« Schweigen antwortete dem neuen Herrn von Carcassonne. Vielsagend streiften Velascos Finger über den Kristall.
    »Mir kam zu Ohren, welche Freudenfeuer ihr angezündet habt, als König Constantin euch vor achtzehn Jahren von meiner Niederlage berichtete. Ihr habt recht gehört: Er ließ mich hinrichten. Doch wie ihr seht, war mein Ableben nicht von Dauer. Ein guter, alter Freund verhalf mir zur Rückkehr. Ein Nekromant, wie ihr euch unschwer denken könnt. Deshalb ist es nur recht und billig, dass ihr mich nun mit einem Fest empfangt.«
    Ein erschrockenes Raunen ging durch die Menge. Das braune Pferd stampfte auf und schnaubte. Yvonne spürte, wie der Wind ihren Umhang bewegte. Sie war froh, auf dieser Seite des Geländers zu stehen – auf der Seite der Sieger, die die Festung innerhalb einer einzigen Nacht eingenommen hatten.
    »Ich danke euch für die Vergnügungen«, fuhr Velasco fort. Seine Stimme klang herablassend. Yvonne bezweifelte, dass er überhaupt wusste, was Vergnügen war. Für den Fürsten der Erde ging gute Unterhaltung stets mit Blutvergießen einher.
    »Gleichzeitig verspreche ich euch, dass das Leben in dieser Burgstadt bald noch abwechslungsreicher werden wird.« Während dieser Rede stieg Velasco zu einem Podest hinunter, das in die Menge ragte. Furchtsam und hasserfüllt sahen die Leute zu ihm auf. Weder Beinschienen noch ein Kettenhemd schützten den Hexer von Carcassonne vor einem Angriff. Aber er schien sich keine Sorgen zu machen. Im Gegenteil – Velasco schien genau zu wissen, dass niemand in der Menge den Mut aufbrachte, die Hand gegen ihn zu erheben. Er stand in aufrechter Haltung da und zwang die Anwesenden, jedes seiner Worte in sich aufzusaugen. Und Velascos Worte waren Gift, so viel stand fest.
    »Bald findet auf diesem Platz das größte und wunderbarste Spektakel statt, das Carcassonne jemals erlebt hat! Ihr alle werdet daran teilnehmen und über den Ausgang des Wettkampfs entscheiden – ihr müsst es sogar! Denn ich biete euch nichts weniger als eine Jahrhundertwette.«
    Die Menge schwieg. Überrascht schob Yvonne die Hände unter die Achseln. Sie hatte irgendeine Art von Reaktion erwartet. Applaus, Widerspruch oder neue Flüche. Das eisige Schweigen hielt jedoch an.
    »Es ist ein Spiel um Reichtum und Macht«, rief Velasco. »Mein Sohn und eine fremde Hexe treten gegen ihre Herausforderer an, während der Spielmacher die Aufgaben festlegt. Und nun seht, um welchen Einsatz Lucian und Ravenna kämpfen!«
    Velasco drehte sich um und winkte ihr. Hastig schritt Yvonne die Stufen hinunter. Sobald ihr Fuß das Podest berührte, zuckten Blitze in den Wolken über den fernen Bergen.
    Die Menge stöhnte auf. Yvonne musste sich zusammennehmen, um nicht zu grinsen. Velasco war gerissener als ein Fuchs! Vom Wachturm aus hatten sie und der Burgherr das Unwetter heraufziehen sehen und beschlossen, den Aberglauben des Mittelalters auszunutzen.
    Und sie wusste genau, wie leichtgläubig und sensationsgierig das Volk im dreizehnten Jahrhundert war. Die Menschen hungerten förmlich nach Ablenkung, die ihren tristen, grauen Alltag erträglicher machte.
    Yvonnes Gewand raschelte, als sie sich neben den Schlossherrn stellte. Der Brokatstoff

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