Tore der Zeit: Roman (German Edition)
Seine folgten, lauschte er auf unwillkommene Geräusche. Er wollte die Strecke am Kanal so rasch wie möglich hinter sich bringen. Der Fluss mit seinen unübersichtlichen Brückenbogen und schattigen Winkeln gefiel ihm gar nicht. Es gab zu viele Gelegenheiten für einen Hinterhalt.
Er hasste die Anspannung, die ihm in die Muskeln kroch. Zu oft hatte er sich so gefühlt – bedroht, verfolgt und beobachtet. »Komm, Ravenna! Lass uns weitergehen«, drängte er, als sie unter einer Brücke Halt machte und einen schwarzen Schwan beobachtete. Er trieb langsam flussabwärts. »Wir sollten hier nicht stehen bleiben.«
»Schau doch nur!«, rief seine Hexe. »Ein Trauerschwan. Die sind ziemlich selten. Vielleicht ist er aus einem Zoo ausgebüchst.«
Lucian sah dem Vogel nach. Es war ein schlechtes Omen. Je seltener ein Tier war, desto eindringlicher die Warnung. Er wollte hier nicht länger bleiben. Als er Ravennas kalte Hand nahm und sich zum Gehen wandte, stellte er fest, dass sie nicht mehr allein waren.
Unter der Brücke lungerte eine Gruppe vermummter Gestalten herum. Ihre Gesichter lagen im Schatten und wurden nur für Sekundenbruchteile beleuchtet, wenn die jungen Burschen und das Mädchen an ihren glimmenden Stängeln sogen. Nervös wippten sie auf den Zehenspitzen auf und ab.
»Wollt ihr was?«, fragte einer. Er schlug die Seite seines langen Ledermantels zurück. »Was braucht ihr? Wir haben alles da: Fetische. Flugsalbe. Haare von einem Werwolf.«
»Haare von … was redest du da für einen Blödsinn, Mann!«, fuhr Lucian den Sprecher an.
Dieser zuckte sofort vor ihm zurück und hob die Hände. »He, was? Was denn? Warum denn gleich so aggressiv? Vielleicht will deine kleine Lady ja was kaufen? Ein Aphrodisiakum? Spottbillig und garantiert wirksam.«
Von Ravenna kam ein erstickter Laut, den Lucian nicht deuten konnte. Furcht oder Gelächter. Oder möglicherweise beides. Gleichzeitig zupfte sie warnend an seinem Ärmel. »Lass uns abhauen«, flüsterte sie. »Bitte! Du hast heute schon beinahe jemandem den Kiefer gebrochen. Ich finde, das reicht.«
»Ein römisches Fascinum vielleicht?«, pries der fliegende Händler seine Ware an. Vielsagend legte er die Hand zwischen seine Beine und machte eine obszöne Bewegung. »Schützt zuverlässig vor dem Bösen Blick.«
»Verschwinde!«, fauchte Lucian. »Nimm deinen Krempel und hau ab, bevor du dem Schwan Gesellschaft leistest.«
»Hey, Mann! Immer cool bleiben!«, empörte sich der Händler, aber da war er schon auf der Flucht. Beleidigt zogen sich die anderen Burschen auf die Uferböschung zurück. »Ich kenne dich!«, rief ihnen einer der Kerle aus sicherem Abstand nach. »Ich hab dich im Fernsehen gesehen! Du bist doch der Typ, der mit dieser Hexe vögelt. Wie heißt sie gleich wieder? Ach ja – Ravenna!«
Lucian unterdrückte den Drang, auf der Stelle umzudrehen und dem Großmaul das Mundwerk zu stopfen. Mit raschen Schritten eilten er und Ravenna am Kanal entlang. Er war dankbar, dass sie wegen der Dunkelheit nicht sehen konnte, wie sein Gesicht glühte.
»Es tut mir leid«, stieß er hervor, als sie weit genug weg waren, dass er den Hohn und Spott der Gruppe nicht länger ertragen musste. »So etwas solltest du dir nicht anhören müssen. Aber das kommt davon, wenn man Rittern meines Ordens verbietet, ein Schwert zu tragen. So eine Waffe, selbst wenn sie nur am Gürtel hängt, verlangt Respekt.«
Seine Hexe betrachtete ihn amüsiert. »Glaub mir, du bist auch so respekteinflößend genug.«
Lucian presste die Lippen aufeinander. »Das waren Schwarzmagier. Zumindest hatten sie verbotene Gegenstände dabei.«
»In Paris trifft man an jeder Ecke auf solche Leute«, murmelte Ravenna. »Wenn du gesehen hättest, was auf dem Hexenmarkt so alles verkauft wird! Davon war bestimmt die Hälfte illegal. Ah … halt!« Sie wedelte mit dem Stadtplan. »Wir müssen diese Treppe hoch. Das muss die erste Abzweigung sein, von der der Concierge gesprochen hat.«
Sie stiegen die Stufen empor. Plötzlich stand das Mädchen vor ihnen, das zu der Gruppe der fliegenden Händler gehörte. Auf ihrer Schulter saß eine große, gefleckte Ratte. Im Licht der Straßenlaterne erkannte Lucian, dass ihre Augenbrauen und die Unterlippe mit kleinen Metallstiften durchbohrt waren. Die Entdeckung schockierte ihn. Er konnte sich nicht vorstellen, womit die junge Frau eine so harte Strafe verdient hatte, selbst wenn sie eine schwarze Hexe war.
Mitleid war allerdings nicht angebracht,
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