Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
Vom Netzwerk:
da nicht jede Menge junger Männer zwischen euch? Yvonnes wechselnde Liebhaber, die ihr so wichtig waren, dass sie noch nicht einmal deren Namen im Kopf behielt? Trotzdem war sie neidisch auf dich, aber das weißt du selbst am besten. Deine Gabe ist viel stärker als ihre. Du bist die Magierin und sie nur eine billige Nachahmerin.«
    Ravenna ging auf ihn los, ganz erhitzt vor Wut. »Billig? Nenn meine Schwester nicht billig!«, schrie sie und schlug mit dem einzelnen Schuh nach ihm. Mühelos fing Lucian ihre Handgelenke und hielt sie fest.
    »Hör auf«, sagte er, plötzlich in ganz vernünftigem Ton. Als sie sich wehrte, drückte er fester zu. »Hör auf! Yvonne hat dich in Gefahr gebracht und zwar mehr als einmal. Das erlaube ich nicht wieder, und wenn ich dafür jede Menge rotznasiger Diebe erschrecken muss. Meine Gabe hat auch ihr Gutes!«
    »Lass los!«, fauchte Ravenna. »Lass mich sofort los! Schau doch, was Acencræft anrichtet: Hier sitzen wir, haben kein Geld und schreien uns an!«
    Der Inder bremste so hart, dass das Taxi schlingernd zum Stehen kam. Diesmal schob er die trennende Glaswand vollständig zur Seite. »Kein Geld?«, fragte er in den Innenraum. »Sie haben kein Geld? Und was machen Sie dann in meinem Taxi?«
    Blindlings tastete Ravenna nach dem Türgriff, zog ihn auf und stolperte ins Freie. Als Lucian ihr folgen wollte, warf sie die Tür vor seiner Nase zu. Sollte er sich doch mit ihrem finanziellen Problem auseinandersetzen! Sie hatte jedenfalls genug.
    Schluchzend und mit den Highheels in der Hand stolperte sie über die achtspurige Straße – ein breiter Streifen aus glitzernden Lichtern und Motorlärm, der die Stadt wie mit dem Lineal gezogen durchschnitt. In der Ferne erhob sich der golden angestrahlte Triumphbogen, ein riesenhaftes Tor, das nirgendwohin führte und sie mit seiner Protzigkeit verhöhnte.
    Als sie die andere Straßenseite erreicht hatte, hatte sie sich einigermaßen beruhigt. Sie blieb vor einem Schaufenster stehen und wischte sich sorgfältig Tränen und Mascaraspuren aus dem Gesicht. Dann begann sie langsam, die Champs-Élysées entlangzugehen.
    Nach einer Weile ließ ihr Ärger über den dummen Streit nach. Stattdessen zogen die Auslagen der Pariser Geschäfte ihre Aufmerksamkeit auf sich. An der Prachtstraße reihten sich Modehäuser, Schokoladenmanufakturen, Blumenläden, Cafés, Juweliere, Buchgeschäfte und exquisite Pelzhändler aneinander. Zwar hatten die Läden um diese Uhrzeit geschlossen, ihre prunkvollsten Stücke stellten sie jedoch in den Schaufenstern aus, zu Preisen, dass es Ravenna ganz schwummrig wurde.
    Schließlich blieb sie vor einem Geschäft stehen, das mit Zaubereibedarf handelte. Sie sah Siebe und Schöpfkellen aus Kupfer, Phiolen, Destillierapparate, dreibeinige Schemel und astrologische Uhren mit einem Dutzend Zeigern, die in alle möglichen Himmelsrichtungen ragten. Ein großes Glas enthielt Federkiele. Daneben standen edle Tintenfässer und Pappschachteln, in denen immer kleiner werdende Schachteln steckten, kostbare Stundengläser aus Rauchquarz und schwere, in Leder gebundene Zauberbücher. Auf dem Rücken trugen die Bände fortlaufende, römische Ziffern. Sie erinnerten Ravenna an diesen Folianten, den der Student unter dem Arm getragen hatte, als sie ihn von seinem Motorroller zerrten.
    Beschämt senkte sie den Kopf. Sie kam sich wie eine Idiotin vor. Soeben hatte sie den ersten und einzigen Mann vergrault, in den sie sich wirklich verliebt hatte. Sie mochte Lucian sehr – so sehr, dass sie manchmal, wenn sie morgens neben ihm aufwachte und er noch schlief, gar nicht an ihr Glück zu glauben wagte.
    Er verdiente so eine Szene nicht, ganz egal, was er angestellt hatte. Er war tatsächlich ihr Ritter, beharrlich, zuverlässig und mutig bis an die Grenze zur Fahrlässigkeit, wenn es um sie ging. Und das Schlimmste war: Er hatte recht. Yvonne war wirklich eifersüchtig auf sie gewesen. Die Sieben hatten sie zur Magierin ausgebildet – nicht ihre Schwester. Sie war in den Hexenzirkel aufgenommen worden, während man Yvonne wegen ihrer übermäßigen Neugier und ihrer Leichtfertigkeit für ungeeignet hielt. Das hatte ihr ihre Schwester nicht verziehen.
    Vor ihrem geistigen Auge sah Ravenna plötzlich, wie sie mitten auf den Champs-Élysées aus dem bremsenden Taxi sprang, mit hochrotem Kopf und teuren Schuhen in der Hand. Sie konnte nicht anders: Sie prustete los. Das Ganze war einfach zu lächerlich – sie lachte, bis sie keine Luft mehr

Weitere Kostenlose Bücher