Tore der Zeit: Roman (German Edition)
sonst so allerhand hinter meinen Rücken.«
»Ravenna, ich …« Lucian vollendete den Satz nicht. Er verstummte und lehnte sich im Sitz zurück. Der Fahrer fuhr ziemlich ruckartig und überholte in waghalsigen Manövern, zur Not auch auf der rechten Spur.
»Lass es mich wenigstens erklären«, sagte Lucian schließlich.
»Nein«, erwiderte Ravenna. »Wozu auch? Wir und der Rest der Welt haben es doch gerade gezeigt bekommen. Richtig – ich wusste nicht mehr weiter. Ich hatte keine Ahnung, was Acencræft ist.Auch richtig – plötzlich schoss mir ein Schmerz ins Kreuz. Ungefähr so wie diesem kleinen Dieb, der schrie, ihm würden Eisenkeile zwischen die Rippen getrieben. Verdammt, Lucian, was machst du da bloß? Ich dachte, Magie sei euch Rittern verboten! Ich wusste nicht mal, dass du eine Gabe hast.«
Er drehte den Kopf zu ihr und schaute sie mit einem verwundeten Ausdruck an. »Habe ich auch nicht«, murmelte er. »Es ist eher ein Fluch. Manchmal geschieht es unwillkürlich. Ich kann es nicht immer unterdrücken. Aber es hat mir schon aus so mancher schlimmen Lage geholfen.«
»Kann ich mir denken!«, schnaubte Ravenna. »Jemandem durch bloße Willenskraft Schmerz zuzufügen! Und da regst du dich über die kleine Hexe am Kanal auf?«
Wieder schaute der Inder zu ihnen. Ravenna war froh, dass eine Glasscheibe den Innenraum teilte. So verstand er wenigstens nicht jedes Wort. Sie beugte sich zu Lucian.
»Ein schwarzes Talent!«, zischte sie. »Ausgerechnet bei dir. Weißt du noch, wie du meine Schwester vor das Hexengericht gezerrt hast, weil sie angeblich in diesen Mordfall verwickelt war? Wie kommst du dazu, sie zu verurteilen! Ausgerechnet du!«
Nun blitzten Lucians Augen, und er richtete sich auf. »Geht es jetzt schon wieder um Yvonne? Deine Schwester ist eine Lügnerin, Ravenna. Zumindest das haben wir beide zweifelsfrei festgestellt. Und sie wendet ihre Fähigkeiten ausschließlich zu ihrem Vorteil an. Ich habe Fehler, ja. Jeder Mensch hat Fehler. Aber sie ist eine Egoistin!«
»Dein scheinheiliges Getue hat sie Beliar und seinen Anhängern doch erst in die Arme getrieben! Wenn du nicht so einen Wind darum gemacht hättest, wäre sie vielleicht nie verschwunden!«
Ravenna hatte gar nicht gemerkt, wie laut sie geschrien hatte. Der Taxifahrer verlangsamte die Fahrt und schob die Trennscheibe ein Stück zur Seite. »Sie sind Ravenna«, lispelte er mit starkem Akzent. Aus seinem Mund klang ihr Name eher wie: Laffena. Na toll – du mich auch, dachte sie, ungnädig mit sich und dem Rest der Welt.
»Ich kenne Sie aus der Fernsehshow. Geht es Ihnen gut?«, fragte der Inder.
Sie presste die Fingerkuppen auf ihre Stirn, auf den Sitz des dritten Auges. Plötzlich hatte sie rasende Kopfschmerzen. »Nein«, murmelte sie. »Deshalb möchte ich so schnell wie möglich zurück ins Hotel.«
Lucian beugte sich vornüber, nestelte am Schnürsenkel, zog den zweiten, geliehenen Schuh aus und warf ihn ärgerlich zwischen sich und sie auf die Rückbank. »Ravenna, hör zu«, stieß er dann hervor. »Niemand, nicht einmal der König, weiß von diesem Talent. Ich habe es meinem Vater zu verdanken, dass ich so bin. Velasco ließ keine Gelegenheit aus, mich wie … wie einen seiner Hunde abzurichten. Ich war sein Sohn, sein Eigentum, und er wollte aus mir einen unterwürfigen Sklaven machen. Er hat diese Gabe gewaltsam in mir geweckt. Das gehört aber der Vergangenheit an. Ich habe das im Griff, glaub mir. Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Und ich habe Yvonne nicht vertrieben. Ich ganz sicher nicht.«
Ravenna blähte die Nasenflügel. Die Wut, die sich gerade ein wenig abgekühlt und in Mitgefühl verwandelt hatte, stieg erneut in ihr empor. »Soll das etwa heißen, ich bin schuld? Willst du das damit andeuten? Du hast sie doch nicht mehr alle, Lucian. Yvonne und ich waren so eng. So eng !« Sie hielt ihm beide Zeigefinger unter die Nase, zwischen die in der Tat kein Haar mehr passte.
Der Inder schob die Scheibe wieder zur Seite. »Sie kenne ich auch!«, verkündete er und strahlte. »Sie beide waren heute Abend bei Vanessa ! Meine Tochter hat zugeschaut und mir über Funk alles berichtet. Sie ist ein großer Fan.«
Mit einem lauten Rums schob Lucian die Scheibe wieder zu. Ravenna vergrub das Gesicht in den Händen. Nun konnten sie sich nicht einmal mehr in einem Pariser Taxi streiten, ohne erkannt zu werden.
»So eng«, höhnte Lucian. Nun klang auch er richtig wütend. »So eng war es nun auch wieder nicht. Standen
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