Tore der Zeit: Roman (German Edition)
Schwert. Lucian vermisste ihn sehr. Er hätte ihn in manchen Dingen gerne um Rat gefragt. Zum Beispiel hätte er gerne gewusst, ob es wirklich einen Schwarzmarkt für Werwolfhaare gab.
Vanessa ließ einige Augenblicke verstreichen, damit seine Worte ihre Wirkung entfalten konnten. Dann blickte sie in die Kamera. »Ich glaube, wir haben gerade eine der ergreifendsten Liebeserklärungen der Fernsehgeschichte gehört. Ich würde sogar sagen, sie war auf ganz wunderbare Weise altmodisch. Wie fühlen Sie sich dabei, Ravenna?«
Seine Hexe setzte ein paarmal zur Antwort an und drehte sich dann zu ihm um. »Ich … was soll ich sagen? Ich bin glücklich. Wegen dir. Nur wegen dir.«
Ihre grauen Augen strahlten ihn an. Lucian schluckte, denn sie sagte diese Worte zu ihm und nicht zu all den Zuschauern, die das Interview an den heimischen Bildschirmen verfolgten. Er überlegte, ob er sie küssen sollte. Jedem Ritter stand in Gegenwart seiner Hexe das ius osculi , das Recht des Kusses, zu. Er hielt sich jedoch zurück, denn ihm schien, dass das rote Sofa in Vanessas Talkshow nicht der richtige Ort für Zärtlichkeiten war.
»Ich frage mich allerdings gerade«, mischte sich Vanessa versonnen ein, »ob Ravenna auch von Lucians dunklem Geheimnis weiß.«
Verwirrt blickten er und seine Hexe wieder zum Pult der Moderatorin. Die Lichter im Studio wurden unmerklich dunkler. Im Hintergrund wurden einzelne Szenen des WizzQuizz abgespielt – nicht die Verfolgungsjagd und die Suche nach Ravennas Siegel, sondern die Studiorunde vom Vorabend. Als Beliar die Frage nach der Acencræft stellte und Ravenna wie auch Vadym fieberhaft nach einer Antwort suchten, fuhr die Kamera langsam zu ihm herüber.
Plötzlich schlug Lucians Herz langsamer. In der Aufnahme sah man, wie sich sein Mund bewegte. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt. Nur die Zeigefinger waren ausgestreckt und zeigten zu Boden. Eine steile Falte stand auf seiner Stirn, ein Schatten, der aufgrund des Aufnahmewinkels verzerrt wirkte. Seine Augen waren tiefschwarz. An dieser Stelle fror Vanessa Chanterel die Aufnahme ein. Und da begriff er, über welche Magie sie verfügte: über die Kraft der Wahrheitsfindung.
Kälte strömte ihm in die Beine und ließ sie schwer werden. Er hatte nicht gewusst, dass in diesem Moment eine Kamera auf ihn gerichtet war. Er hatte schlicht und ergreifend nicht bemerkt, dass er gefilmt wurde. Doch er erkannte sofort, dass seine vollmundige Ankündigung von eben – Tugend, Wahrhaftigkeit und so weiter – gerade den Bach hinunterging.
»Wie es scheint, haben Sie auch eine Gabe«, stellte Vanessa fest. Ihre Stimme klang honigsüß. »Ist es nicht sehr ungewöhnlich, dass sich zwei talentierte Magier zusammentun? Im Allgemeinen nimmt man an, dass bei Liebespaaren einer den paranormalen Part ausfüllt, während der andere eher unbegabt ist. Eine Schattenseele.«
Offenbar las sie ihm den Schock vom Gesicht ab, denn sie dehnte sich genüsslich in ihren Sessel. »Was genau tun Sie da, Lucian? Ist es Psychokinese? Telepathie? Ravenna wusste nicht mehr weiter, und Sie haben was getan? Ihr die richtige Antwort übermittelt? Auf welchem Weg?«
Das eigentlich Schlimme an der Situation war, dass sich seine Hexe nun erneut zu ihm umdrehte. Ihre Augen funkelten genauso wie der Saum an ihrem Dekolleté, und ihr Gesicht war spitz vor Misstrauen. Jetzt wäre der richtige Augenblick, um Dinge zu sagen wie: Ich kann das erklären. Aber sein Mund fühlte sich staubtrocken an, und seine Lippen klebten aufeinander.
Er griff nach dem Wasserglas und trank einen Schluck. Fieberhaft überlegte er, was er sagen sollte, aber er konnte nur an eines denken: Wie gut es doch war, dass König Constantin diese Aufnahmen niemals zu Gesicht bekommen würde. Denn allein seine Körperhaltung reichte aus, um ihn vor den Richterstuhl und anschließend auf den Scheiterhaufen zu bringen, schuldig in allen Anklagepunkten.
»Ich glaube, Lucian war in diesem Moment sehr nervös«, hörte er Ravenna sagen. »Wir beide waren vor der Sendung furchtbar aufgeregt. Wir machen das schließlich zum ersten Mal. Beim WizzQuizz auftreten, meine ich. Es ist tatsächlich so, dass ich mehr so die Paranormale bin und Lucian …« An dieser Stelle stockte sie. Er hörte ihre Atemzüge, tief und regelmäßig vor Wut. »Eine Schattenseele, das trifft es ganz genau. Eine rabenschwarze Schattenseele, würde ich sagen.« Sie lachte abgehackt, während er am liebsten im Boden versunken wäre.
»Diese
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