Tore der Zeit: Roman (German Edition)
bekam. Als sie den Kopf hob, stand Beliar direkt hinter ihr.
Sein Gesicht spiegelte sich in der Scheibe des Magasin Magique . Sie fuhr so heftig herum, dass ihr Ellenbogen gegen das Fenster knallte. Sie fürchtete schon, die Erschütterung werde Alarm auslösen, aber dem war nicht so. Mit einer leichten Verbeugung hielt Beliar ihr den Arm hin. »Lass uns ein Stück spazieren gehen«, bot er an.
Ängstlich spähte Ravenna nach rechts und links, aber der Bürgersteig neben der stark befahrenen Straße wirkte wie ausgestorben. Sie waren die einzigen Fußgänger, die so spät unterwegs waren, und sie wollte sich nicht noch einmal in den vorbeibrausenden Verkehr stürzen.
Offenbar merkte Beliar, dass sie nervös war. »Nun komm schon«, ermunterte er sie. »Ich begleite dich bis vor das Hotel. Und ich verspreche, dass ich keine unbequemen Fragen stelle.«
Ravenna presste die Lippen aufeinander. »So wie Vanessa, meinst du.«
»Zum Beispiel«, grinste Beliar. »Sie hat deinen Ritter ganz schön ins Schwitzen gebracht. Lucian, der unbescholtene Schreck aller Schwarzmagier. Ich glaube, von diesem Image kann er sich jetzt verabschieden.«
»Er kann nichts dafür! Sein Vater ist an allem schuld«, brauste Ravenna auf. »Velasco ist einfach ein furchtbarer Tyrann.« Dann sog sie die kalte, nach Abgasen schmeckende Luft ein. Sie verteidigte Lucian bereits wieder. Vermutlich war das ein gutes Zeichen.
Beliar hielt ihr noch immer den Arm hin. Er war wie ein Herr gekleidet, der gerade von einer Abendgesellschaft kam, in Smoking und schwarzer Fliege. Außerdem trug er einen langen Mantel und einen dunkelblauen Schal. Ein Hut schützte seinen kahlen Kopf vor der Kälte. Sowohl die Brillengläser als auch das Steinchen in seinem Ohr glitzerten diesmal orangefarben. Ravenna verzog den Mund. Offensichtlich fügte sich der Teufel nahtlos in die Welt der einflussreichen Pariser Eliten ein.
Zögernd stellte sie die Schuhe auf den Boden und schlüpfte mit eisigen Füßen hinein. Mit den Fingerspitzen hängte sie sich bei Beliar ein. Aus dem schwarzen Himmel über Paris begann es sacht zu schneien.
»Mach dir nicht zu viele Sorgen«, plauderte Beliar munter darauflos, während sie langsam die Straße hinabgingen. »Wir nehmen vielleicht alles auf, aber wir werden nicht alles senden. Unser Publikum verdient nur die aufregendsten Bilder.«
Schockiert blickte sie ihn an. Da zeigte er auf einen Helikopter, der zügig über die große Pariser Prachtstraße hinwegflog.
»Ihr habt das gefilmt? Unseren Streit, meine ich?«
»Ihr habt euch gestritten?« Beliar hob die Brauen, doch der Teufel wirkte niemals wie ein Unschuldslamm. Als Ravenna schwieg, gingen sie eine Weile stumm nebeneinander her.
Beliar kontrollierte jeden Schritt, den sie machte. Er wusste alles von ihr. Und er war bereit, ihr Schicksal vor der ganzen Welt auszubreiten.
»Warum?«, fragte sie. Das Wort stieg als weißer Hauch aus ihrem Mund. »Warum tust du das? Die Show und das ganze Theater. Wenn du mich und die Sieben vernichten willst, wie du es einst geschworen hast, könntest du jederzeit zuschlagen. Wozu dann der Aufwand?«
»Weil es sonst sterbenslangweilig wäre«, erwiderte Beliar.
Ravenna sog die kalte Luft ein. Immerhin waren sie an diesem Punkt angekommen: Keiner musste dem anderen länger etwas vormachen.
»Es ist die Lust am Außergewöhnlichen, an Spektakeln und Kuriositäten, die uns all das hier tun lässt.« Beliar deutete mit einer ausladenden Geste über die funkelnde Stadt. »Außerdem habe ich mit einem Freund gewettet, wie weit du wohl gehen würdest. Diesmal stehe ich auf deiner Seite, Ravenna. Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass du irgendwann alle moralischen Bedenken und dieses ganze abscheuliche Ich-bin-eine-gute-weiße-Hexe-Getue zur Hölle fahren lässt. Versteh mich richtig: Diesmal möchte ich, dass du es schaffst und wir uns in der Schlussrunde des WizzQuizz wiedersehen. Dann ziehen wir Bilanz.«
Bei dieser Ankündigung zog sie unwillkürlich den Kopf ein. Einen Teufelspakt – nichts Geringeres schlug ihr Beliar auf den nächtlichen Champs-Élysées vor, während sich die dünnen Schneeflocken in seiner Hutkrempe sammelten. Sie hatte bereits viele seiner Gesichter gesehen, aber dieses ölige, siegesgewisse Lächeln gefiel ihr am allerwenigsten.
»Ich will deine Hilfe aber nicht«, erklärte sie. »Und die Wette ist mir völlig egal. Gib doch einfach zu, dass du dich an mir rächen willst! Für den Fluch, mit dem ich dich aus
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