Tore der Zeit: Roman (German Edition)
Handhaltung da«, fuhr Ravenna fort. »Das ist eine Schutzgeste. Ein Glückszeichen, das schon seit dem Mittelalter in Gebrauch ist. Seit dem dreizehnten Jahrhundert, um genau zu sein. Nicht wahr, Lucian?«
Er schwieg, bis auf die Knochen blamiert. Seine Hexe hatte ihm den Hals gerettet, doch der Preis, den er gleich nach der Sendung würde zahlen müssen, ließ ihn schaudern. Er hatte ihr nicht alles gesagt. Er konnte es nicht, denn es gab Dinge in seiner Vergangenheit, die er noch nicht einmal vor sich selbst eingestand. Nun hatte das Fernsehen einiges davon ans Licht gebracht.
Während der restlichen Minuten plauderte Vanessa über belanglose Dinge. »Eine Frage noch«, sagte sie zum Schluss. »Was werden Sie jetzt tun?«
»Jetzt«, sagte Ravenna und zog den kurzen Rock mit einem Ruck glatt, »machen wir den verdammten Koffer auf.«
Dann war der Zeitpunkt gekommen, sich zu verabschieden.
»Vergessen Sie unsere Abmachung nicht«, raunte Lucian Vanessa zum Abschied zu, als die Kameras ausgeschaltet waren. Er musste sich zu ihr hinunterbeugen, wenn er vertraulich mit ihr reden wollte. »Fünftausend für jeden von uns.«
»Sie sind ein Schlitzohr, Lucian«, zwinkerte sie ihm zu. »Aber ein sehr sympathisches. Eigentlich sollte ich Ihnen fürs Zuspätkommen einen Teil vom Honorar abziehen. Aber was soll’s!« Sie zuckte die Achseln. Ihr Schmuck klimperte. »Geben Sie mir einfach Ihre Kontoverbindung. Ich überweise Ihnen die volle Summe.«
Auch das gehörte zu den Merkwürdigkeiten in Ravennas Welt: Die Menschen im einundzwanzigsten Jahrhundert zahlten mit unsichtbarem Geld, vor allem wenn es um große Summen ging. Lucian hatte nie ganz begriffen, wie der Tausch funktionierte. Aber die Tatsache, dass dieses Geistergeld offenbar allgemein akzeptiert wurde, auch bei den für Magie Unbegabten, erstaunte ihn jedes Mal aufs Neue.
Bedauerlicherweise hatte er seine Hexe nie gebeten, ihm den Ablauf zu erklären. Und das wurde ihm nun zum Verhängnis, denn über die Art von Verbindung, von der Vanessa sprach, verfügte er nicht. Ravenna um Hilfe zu rufen, war ausgeschlossen. In der Stimmung, in der sie sich gerade befand, würde sie ihn wohl kaum ein zweites Mal aus der Verlegenheit retten. In ihrem kurzen Kleidchen stapfte sie in Richtung Umkleide. Allein die Art, wie ihre Absätze auf den Boden knallten, sagte ihm, dass die Sache noch lange nicht ausgestanden war.
»Schickt uns das Honorar ins Hotel«, stieß er hervor. »In gültiger und barer Münze.«
Vanessa hob eine Augenbraue. »Ganz wie Sie meinen«, sagte sie dann. Sie gab ihm die Hand. Und dann war sie auch schon verschwunden.
Taxi Paris
Ravenna nahm sich keine Zeit, um sich umzuziehen. Sie schlüpfte aus den hochhackigen Schuhen, hob sie auf und lief in Richtung Ausgang.
»Warte! Jetzt warte doch!« Lucian, mit nur einem Schuh an den Füßen und dem zweiten in der Hand, hüpfte aus der Umkleide. Als sie nicht stehen blieb, fluchte er. »Schickt uns unsere Sachen nach!«, befahl er den verblüfften Mitarbeitern der Talkshow. »Man wird Euch für Eure Mühe danken.« Dann warf er der Assistentin den bereits ausgezogenen Schuh zu und rannte Ravenna nach.
Ravenna riss die Glastür auf, schlüpfte ins Freie und ließ die Tür achtlos hinter sich zufallen. In Seidenstrümpfen lief sie auf die Straße. »Taxi!«
»Ravenna, verdammt! Lass uns wenigstens darüber reden!«
Sie hob den Arm. Der eisige Asphalt brannte unter ihren Sohlen. Auf dem Dach des herannahenden Autos leuchtete ein weißes Licht. Als der Wagen an den Straßenrand fuhr und bremste, hatte Lucian sie eingeholt. Sie riss die Tür auf, doch er nagelte sie zwischen Verschlag und Autodach fest.
»Du übertreibst maßlos«, keuchte er. »Ich hoffe, das weißt du auch.«
Ravenna glitt zwischen seinen Armen hindurch auf die Rückbank. »Zurück zum Hotel«, verlangte sie und nannte dem Fahrer die Adresse. Es war ein Inder mit einem safrangelben Turban. Im Rückspiegel warf er ihr einen Blick zu. Am Spiegel baumelte ein Bild der Gottheit Ganesha: ein Elefant, auf einer Maus reitend. Ravenna verzog den Mund. Genauso fühlte sie sich – wie die Maus, nicht wie der Elefant.
Lucian stieg ein, als das Taxi bereits im Anfahren war, und ließ sich neben ihr auf den Sitz fallen. »Wie willst du den Fahrer entlohnen?«, erkundigte er sich, besorgt und außer Atem. »Kannst du mir das verraten?«
»Weiß ich doch nicht!«, fauchte sie ihn an. »Lass du dir doch was einfallen! Du treibst doch auch
Weitere Kostenlose Bücher