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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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paar eilige Schritte weiter und der Turm gab wieder die Sicht auf die Stadt frei.
    Erst als sie Seitenstechen hatte, wagte es Ravenna, langsamer zu werden. Es war spät. Der Verkehr hatte nachgelassen, und Paris schien allmählich zur Ruhe zu kommen. Sie warf einen Blick über die Schulter.
    Niemand verfolgte sie. Nicht einmal ein Kameramann war zu sehen – dabei hätte Beliar an dem feigen Anschlag auf das Hotel und an ihrer überstürzten Flucht seine helle Freude gehabt. Sie wandte sich wieder nach vorn.
    Sie gingen durch eine Gasse. Ihre Schritte hallten auf dem Kopfsteinpflaster. Autos parkten am Randstein. Die heruntergekommenen Gebäude waren mit Graffiti übersät. Vor den kleinen Läden lag Müll. Auch das war Paris.
    Keiner von ihnen sagte etwas. Nach einer Weile tastete Ravenna nach Lucians Hand. Umschloss seine kalten Finger. Hielt sie, bis sie wieder warm geworden waren. Als sie sich schließlich an seine Schulter schmiegte, legte er wie selbstverständlich den Arm um sie, und sie gingen eng umschlungen weiter.
    Im Schaufenster eines winzigen Elektroladens türmten sich Fernseher zu einer Pyramide. Ravenna blieb stehen. Sie erkannte das Hotel, vor dem mittlerweile ein ganzes Geschwader von Polizei- und Rettungsfahrzeugen stand. Der Vorplatz war ausgeleuchtet. Immer wieder zoomte die Kamera auf ein zerstörtes Fenster im zweiten Stock – ihr Fenster. Dann berichtete ein aufgeregter Reporter über die neusten Entwicklungen. Natürlich ohne hörbaren Ton, denn zwischen ihr und den Geräten befand sich die Schaufensterscheibe. Ein Live-Ticker im unteren Bildrand fasste die aktuellen Schlagzeilen jedoch immer wieder zusammen: Anschlag auf Teilnehmer des WizzQuizz. Überfall und Geiselnahme im Hotel. Besteht ein Zusammenhang mit Yvonnes Verschwinden? Wo ist Ravenna jetzt – rufen Sie an! Dann wurde die Studiohotline eingeblendet.
    »Na bitte«, murmelte sie. »Dieses Getümmel wird unsere Freunde aus Sankt Petersburg hoffentlich eine Weile aufhalten. Wird schwer für sie, unerkannt aus dem Hotel zu verschwinden. Der Anschlag wird die Zahl der Vadym-Gegner sicher noch erhöhen.«
    Lucian bewegte die Achseln und schwieg.
    »Wie bist du dem eigentlich entkommen?«, wollte Ravenna wissen. »Aus dem Taxi, meine ich.«
    Keiner von ihnen hatte den Streit bisher erwähnt. Jetzt hörte sie, wie Lucian seufzte.
    »Der Fahrer wollte ein Autogramm von mir. Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich begriffen habe, was das ist – ein Autogramm. Aber dann erfüllte ich seine Bitte.«
    Ravenna hob den Kopf und musterte ihn. »Du hast ihm ein Autogramm gegeben?«
    Lucian nickte. »Er wollte, dass ich meinen Namen schreibe. Richtig? Für seine Tochter.«
    Unwillkürlich fing Ravenna zu lachen an. Das erklärte allerdings, warum es so lange gedauert hatte, bis Lucian im Hotel eintraf. Er schrieb nicht, wenn er einen Stift in die Hand nahm – er malte . Besonders den Anfangsbuchstaben seines Namens führte er kunstvoll aus, mit allerhand Schnörkeln, kleinen Vögeln, Blättern und Ranken. Wie es bei einer mittelalterlichen Handschrift üblich war.
    »Ich bin Beliar begegnet«, berichtete sie, als sie sich zum Gehen wandten. Während sie die Straße entlangschritten, erzählte sie, was der Teufel mit ihr beredet hatte.
    »Er will, dass wir gewinnen ?« Lucians Stimme klang ungläubig. »Das ist ganz sicher eine Falle. Beliar steht nicht auf unserer Seite.«
    Voller Unbehagen zog Ravenna die Schultern hoch. »Er hat nicht gesagt, dass wir gewinnen werden. Er sagte, dass ich es bis in die Endrunde schaffen soll. Dann wird abgerechnet. Oder so ähnlich.«
    Lucian schnaubte verächtlich durch die Nase. »Eine Vergeltungsmaßnahme«, schlussfolgerte er. »Was denn sonst? Das ganze WizzQuizz ist eine Farce. Es geht nicht darum, wer gewinnt. Beliar will uns öffentlich bloßstellen. Wir stehen am Pranger, Ravenna, und ganz Paris tanzt um unsere schändliche Zurschaustellung herum. Wer soll denn dieser Freund sein, mit dem Beliar gewettet hat? Jemand wie er hat keine Freunde!«
    Ravenna dachte über Lucians Worte nach. Eine magere Katze hockte auf einer Motorhaube. Sie sprang von dem Auto und verschwand lautlos in einem Hinterhof, als sie sich näherten.
    »Hast du von Vanessa das vereinbarte Geld bekommen?«, fragte sie leise. »Dann könnten wir uns vielleicht absetzen. Den nächsten Zug nach Süden nehmen. Ich glaube, wir sind hier irgendwo in der Nähe des Bahnhofs Montparnasse. Wir könnten an die Côte d’Azur fahren, da war ich

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