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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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noch nie. Wobei ich mir allerdings vorstellen kann, dass Beliar auch die Bahnhöfe überwachen lässt.«
    Lucian schwieg. Er schwieg so lange, dass sich Ravenna bereits Sorgen machte. »Stimmt was nicht?«
    »Nein. Doch. Es ist nur: Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht. Vanessa wollte nach der Talkshow nicht gleich bezahlen. Wir vereinbarten, dass sie uns das Geld ins Hotel schickt.«
    Ravenna blieb stehen. »Es war in dem Sack.«
    »Das nehme ich an«, nickte Lucian. »Wenn Vadym und seine Freunde nicht völlig verblödet sind, werden sie diesen Beutel versteckt haben, bevor die Polizei kam.«
    »Aber wieso denn in einem Sack?«, fragte Ravenna entgeistert. »Zehntausend Euro passen doch locker in einen Briefumschlag.«
    »Das wusste ich nicht.« Lucian klang zerknirscht. »Es ist meine Schuld. Ich hätte dich vorher um Rat fragen sollen. Ich bat Vanessa, uns das Honorar in barer Münze auszuzahlen, so wie es an Constantins Hof üblich ist. Silberlinge, Goldtaler – du weißt schon.«
    Ravenna schwieg ein paar Atemzüge lang. Dann rieb sie sich die Schläfen. »Wie gewonnen, so zerronnen«, murmelte sie. »So ein Mist.« Sie gab sich Mühe, dass ihr die Enttäuschung nicht zu sehr anzumerken war.
    » Das hält unsere russischen Freunde so lange auf«, meinte sie. »Zehntausend Euro in Münzen. Der Sack dürfte locker siebzig, fünfundsiebzig Kilo wiegen. Und wie ich Vadym und seine Freunde kenne, sind sie viel zu gierig, um das Geld irgendwo liegen zu lassen. Vielleicht hast du uns den Vorsprung verschafft, den wir brauchen, um die zweite Runde zu gewinnen.«
    »Ich habe unser Honorar verloren«, brummte Lucian. Mit der Fußspitze stieß er einen alten Zeitungsfetzen aus dem Weg. »Nun wird nichts aus der Reise an die Côte d’Azur. Wir können Paris nicht verlassen und müssen weiter nach der Pfeife des Teufels tanzen.«
    »Dann fahren wir eben ein andermal hin«, tröstete ihn Ravenna. »Immerhin hatten wir nur deinetwegen überhaupt eine Aussicht auf das Geld. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, Vanessa Chanterel nach einem Honorar zu fragen.« Sie zog die Wünschelrute aus ihrer Tasche. »Ich fürchte, unter diesen Umständen bleibt uns nichts anderes übrig, als der Magie zu vertrauen.«
    Wieder nahm sie den gegabelten Stab in ihre Hände. Diesmal war es anders als im Hotel – sofort floss ein Kraftstoß von einer Hand zur anderen. Sie spürte ein Kribbeln zwischen den Fingern, als hätte sie feuchte Batteriepole berührt. Langsam drehte sie sich um die eigene Achse und hielt die Rute in Brusthöhe von sich weg.
    »Ah!«, rief sie schließlich. »Ich glaube, es geht hier entlang.« Sie ging ein paar Schritte die Straße hinunter. Die Vibration wurde stärker, je länger sie dieser Richtung folgte.
    »Kommst du?«, rief sie über die Schulter zurück. »Vergiss Vanessa! Neues Spiel, neues Glück, Lucian!«
    Mit einem Kopfschütteln überwand er den Ärger und die Enttäuschung und folgte ihr. An der nächsten Kreuzung fing Ravenna an zu laufen, so klar und eindeutig war das Signal. Sie wollte keine Zeit verlieren, denn wenn das Ding tatsächlich um Mitternacht seine magische Wirkung einbüßte, blieb ihr nur noch eine knappe Viertelstunde.
    Sie überquerten mehrere große Kreuzungen, kamen an drei Métro-Stationen vorbei und gelangten schließlich auf einen Platz, auf den eine verwirrende Vielzahl von Straßen mündete.
    Hier ging das Zittern plötzlich in ein lautes Sirren über.
    »Au!« Ravenna ließ die Rute fallen und rieb sich die Handgelenke. »Verdammt, tut das weh!«
    Lucian hob die Rute auf. Er fasste sie genauso an, wie Ravenna es getan hatte, drehte sich, ging ein paar Schritte in diese, dann in jene Richtung und kehrte mit einem Achselzucken zu ihr zurück.
    »Bei mir macht sie gar nichts«, stellte er fest. »Man muss wohl eine Hexe sein, um irgendwas zu fühlen.«
    Ravenna nahm die Rute wieder an sich. Sofort ertönte das Summen wieder. Ein Knistern lief an dem Stock auf und ab wie an einer Hochspannungsleitung bei Frost. Stromstöße zuckten durch ihre Adern.
    »Kein Zweifel – hier – sind wir – richtig«, keuchte sie. Sie steuerte auf ein pechschwarz gestrichenes Häuschen zu, das am Rand des Platzes stand. Dort schlug die Rute am stärksten an. Ein blauer Funken schoss aus dem kurzen Rutenende und schlug in das Eisentor ein.
    Ravenna ließ ein Ende der Wünschelrute los und spähte durch das Gatter. Dahinter befand sich ein Drehkreuz. Hinter dem Drehkreuz war eine schwach

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