Tore der Zeit: Roman (German Edition)
die beiden Enden und ging damit ein paar Schritte durch das Zimmer. Nichts. Kein Zucken, nicht einmal ein Kribbeln.
»Keine Ahnung, ob es funktioniert«, brummte sie. »Ich habe so was noch nie gemacht.«
In diesem Augenblick klingelte das Telefon auf dem Nachttisch. Ravenna zuckte zusammen. Als sie zögernd abhob, meldete sich eine wohlbekannte Stimme.
»Ich gratuliere«, tönte Beliar aus dem Hörer. »Nun hältst du die Aufgabe der zweiten Runde in der Hand. Sie lautet: Finde das Schloss, zu dem dieser Schlüssel passt, und geh durch die Tür! Wie ich sehe, istVadym auch schon bei euch eingetroffen. Ausgezeichnet. Denk immer daran, Ravenna: Es kann nur einen Sieger geben.«
»Ich dachte, das Hotel wäre tabu«, knurrte sie. »Es hieß, hier wird nicht gefilmt, und wir haben unsere Ruhe. Wenigstens in diesem Zimmer.« Ihr Gesicht wurde heiß, als sie an die vergangene Nacht dachte, an das sinnliche und ziemlich zügellose Vergnügen, das sie und Lucian zwischen den Laken geteilt hatten.
»Das hat das Medium behauptet«, antwortete Beliar, »und wer würde schon einem Medium glauben? Ich bin auf dem Eiffelturm, erste Aussichtsplattform. Mit einem Teleobjektiv ergeben sich von hier aus ganz anständige Bilder. Zum Abschluss noch ein Hinweis: Für die Erfüllung dieser Aufgabe gibt es ein Zeitlimit. Wenn ihr bis Mitternacht nicht herausgefunden habt, wo sich die Pforte befindet, verliert die Rute ihre magische Wirkung. Dann taugt sie nicht mehr zum Öffnen, und du erfährst nie, ob es Yvonne gut geht.«
»Ein Tor. Du schickst uns zu einem Tor«, stellte Ravenna fest.
Beliar antwortete nicht. Sie legte auf, ohne sich zu verabschieden. Ihre Hand zitterte. »Dieses Aas«, zischte sie. Lucian fragte erst gar nicht, wen sie meinte. Er hielt ihren langen, grauen Kapuzenmantel bereit. »Den brauchst du jetzt«, sagte er und half ihr beim Hineinschlüpfen. »Draußen ist es bitterkalt.«
In diesem Augenblick platzte die Fensterscheibe. Glassplitter flogen quer durchs Zimmer, als wäre vor dem Hotel ein Auto explodiert. Ravenna wurde gegen den Schrank geschleudert. Am Eiffelturm gingen die Lichter aus.
Nachtwanderung
Lucian beugte sich über sie. Das war das Nächste, das verworren in ihr Bewusstsein drang. Ravenna lag auf dem Boden, und ihr Ritter redete ihr gut zu. Sein Gesicht war ein bleicher, verschwommener Fleck vor ihren Augen. Sie hatte sich zwischen Bad und Bett zusammengerollt wie eine Katze bei Gewitter.
Ravenna erinnerte sich nicht mehr, wie sie dorthin gekommen war oder wie lange sie bereits dort auf dem Boden lag. Sie verspürte keine Lust aufzustehen. Alles tat ihr weh. Lucian beharrte jedoch darauf, dass sie sich aufrecht hinsetzte. Sie schickte ihn weg. Er bückte sich erneut, griff nach ihr. Als er sie ungeschickt hochzerrte, taumelte sie gegen ihn.
Ihre Sinne funktionierten nicht richtig. Das Zimmer schwankte. Die Schatten um Tisch, Bett und Schrank flimmerten. Die Gardine vor dem zersplitterten Fenster blähte sich und nahm groteske Formen an. Dasselbe galt für Lucian. Er hatte einen Wasserkopf, und seine Stimme hallte wie in einem Kühlhaus. Ravenna war sich nicht ganz im Klaren darüber, was geschehen war. Sie sah nur, dass ihr Ritter aus einer Schnittwunde blutete, die sich quer über seine Wange zog.
Sie wollte hingreifen, die Blutung stillen, aber er wehrte ab. Entschlossen legte er sich ihren Arm um die Schultern und schleppte sie zur Tür. Der Boden war voller Glasscherben, aber sie hörte kein Knirschen. Woher kam diese Taubheit? Sie schüttelte den Kopf. Sie war sicher, keinen Knall gehört zu haben. Das Fenster war einfach so explodiert, wegen eines hingehauchten, schwarzmagischen Zeichens. Vadyms Rache für die zerstörte Scheibe in der Gasse am Hexenmarkt.
»Ein Fluch! Das war ein Fluch!«, sagte sie. An Lucians Zusammenzucken erkannte sie, dass sie offenbar gebrüllt hatte. Gelallt, um die Wahrheit zu sagen. Der Fluch lähmte ihre Zunge.
Lucian sagte etwas, während sie den Gang entlangtorkelten. Sie hörte nichts, sah nur, wie sich seine Lippen bewegten. Als er merkte, dass sie ihn nicht verstehen konnte, lehnte er sie gegen die Wand und durchsuchte ihre Taschen.
»He!«, protestierte sie und versuchte ihn abzuwehren. Aber sie hatte ihre Gliedmaßen nicht unter Kontrolle. Ihr Arm schlenkerte zur Seite, als würde sie Ohrfeigen austeilen. Und wirklich: Sie hatte Lust, Vadym aus tiefstem Herzen eine zu scheuern.
Endlich fand Lucian das Siegel und schob den Ring über
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