Tore der Zeit: Roman (German Edition)
Feststellung schoss Lucian durch den Kopf, während er einen Atemzug lang zögerte. Dann zog er das Schwert aus der Scheide.
Wie eine Peitsche schnalzte die Schnur des Mönchs nach vorn. Der Strick schlang sich um sein Handgelenk und zerrte schmerzhaft an seinem Arm. Der Schmied setzte ihm augenblicklich nach und versuchte, den Ritter mit einem betäubenden Schlag am Kopf zu treffen. Lucian duckte sich und gab dem Zug der Schnur nach. Er stolperte dem Gegner entgegen, nutzte den Schwung und rammte dem Mönch den Knauf des Schwerts unters Kinn. Der Zug an seiner Hand ließ nach. Er schüttelte die Schnur ab – eine heimtückische Waffe, die der Mönch, Blut hustend und über den Platz torkelnd, sofort wieder an sich nahm.
Das Kettenhemd hatte ihn vor hässlichen Verletzungen bewahrt, aber aus diesem Grund trug er die Rüstung nicht: Die Panzerung sollte das unwürdige Schauspiel nur verlängern. Er fluchte innerlich, denn er war dem Orden der Hexenritter nicht beigetreten, um eines Tages gegen geldgierige Dummköpfe zu kämpfen, die nicht einmal Schuhe an den Füßen trugen.
Der Lockenschopf stürzte sich wieder auf ihn. Seine Waffe bestand nicht aus einer, sondern aus zwei gekrümmten Klingen, stellte Lucian fest. Die Sicheln waren durch einen beweglichen Griff miteinander verbunden. Sie wirbelten so schnell durch die Luft, dass sich beide Halbmonde zu einem einzigen Silberkreis verbanden. Ein Meister seines Fachs hatte den Lockenschopf ausgebildet. Es blieb jedoch ein ungleicher Kampf: ein gepanzertes Schlachtross gegen eine geschmeidige Katze – so bewegten sie sich kämpfend über den Platz.
Bis zum letzten Vorstoß des Gegners. Der Bursche glitt an seinem Schwert vorbei, hakte ihm den Fuß unter das Bein und riss ihn aus dem Gleichgewicht. Lucian stürzte rücklings auf die verletzte Hand. Der Schmerz kam so jäh und heftig, dass der Himmel vor seinen Augen schwarz wurde.
Als er wieder Luft bekam, waren seine Gegner über ihm. Eine Rüstung hatte etliche Schwachstellen – am Hals, unter den Achseln, in den Leisten und Kniekehlen –, und die Kopfgeldjäger wussten bestens über diese Lücken Bescheid. Sie stachen und hieben nach ihm, während er das Schwert mit aller Kraft umklammerte. Er wusste, wenn ihm die Waffe entglitt, war er verloren. Die Schmerzfontänen, die durch den festgebundenen Arm schossen, trieben ihm die Tränen in die Augen.
Die Sichel sauste auf ihn herab. Aber Lucian konnte sich nicht richtig bewegen. Seine Füße hatten sich in der beschwerten Schnur des Mönchs verheddert. Der Lockenschopf stieß erneut zu. Lucian nutzte die ganze Kraft des linken Arms, um den Angriff abzuwehren. Die Wucht seines Hiebs prellte dem Burschen die gekrümmte Klinge aus den Fingern. Unter den zupackenden Händen seiner Gegner rollte er sich zur Seite.
» Fyarreway !«, schrie er. Die Sichelklinge wirbelte über den Platz, ohne dass er sie berührte. Ein gutes Stück entfernt wühlte sie sich unter Schnee und Splitt.
Einarmig mühte Lucian sich hoch. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Bursche im Schnee umhertastete, um seine Waffe wiederzufinden. Von hinten legte sich der Arm des Schmieds wie eine Stahlklammer um seinen Brustkorb, während ihm der Kerl mit der anderen Hand den Kopf nach hinten riss.
»Schnell!«, brüllte der Schmied dem Mönch zu. »Erledige ihn! Jetzt ist die Gelegenheit! Den Gewinn teilen wir!«
Blindlings schwang Lucian das Schwert über den Kopf, erwartete einen Schwall von Blut. Stattdessen spürte er, wie der Schmied durch seine jähe Bewegung zurückgestoßen wurde. Die Menge schrie auf.
Mit einem schnellen Schnitt durchtrennte Lucian die Schnur um seine Fußgelenke. Strauchelnd kam er auf die Füße. Der Schmied lag im Schnee. Die Glieder des Mannes waren verdreht, in den Augen wirbelte ein falschfarbiges Feuer. Sein Mund stand offen. Nirgendwo war eine Wunde zu sehen.
Der Anblick erfüllte Lucian mit Grauen.
»Maledicco!«
Er fuhr herum, als er den Fluch hörte. Der barfüßige Mönch wich vor ihm zurück, vollführte ein magisches Zeichen. »Maledicco !« , kreischte er wieder. »Du bist der Sohn des Hexers! Du hast den Schmied getötet, ohne ihn zu berühren!«
»Maledicco!« Die Leute zeigten auf ihn.
Mit den Augen suchte Lucian nach Ravenna. »Zum Tor!«, schrie er seiner Hexe zu. »Nun mach schon! Zum Tor! Lauf zum Torhaus!«
Er fing an zu rennen. Wütend brüllte Beliar auf, als er die Regeln brach.
»Ergreift ihn!«, befahl sein Vater von der Terrasse aus.
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