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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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einen Augenblick blieb ihm die Luft weg: Ravennas Schwester erwartete ein Kind.
    Velasco hatte das Schwert gezogen. Es war offensichtlich, dass er zu Ende bringen wollte, was die drei Angreifer auf dem Platz nicht geschafft hatten. Yvonne rief dem Hexer etwas zu. Als er sie nicht beachtete, verdrehte sie die Augen und ließ sich zu Boden gleiten, fing den Sturz kaum mit den Händen ab. Velasco zögerte. Seine Lippen formten eine Verwünschung.
    Lucian keuchte. Das ergab keinen Sinn. Yvonne und Velasco – was hatten diese beiden miteinander zu schaffen, außer dass sie Beliars Vasallen waren? Die Fürsten der Hölle.
    Dann entdeckte er seine Hexe wieder. Das Leuchten zwischen Ravennas Händen war inzwischen so grell, dass das Licht in den Augen schmerzte. Plötzlich schoss ein langer, gezackter Blitz in den Himmel, raste zurück zur Erde und verästelte sich zwischen den Stäben der Hexer. Die Männer ließen ihre Waffen fallen. Lucian spürte den Kraftstoß durch die Fußsohlen. Ein unangenehmes Kribbeln durchzuckte seine Beine und ging seinen Rücken entlang, ließ ihn fluchend auffahren.
    Dann erreichte die Magie das Torhaus. Mit einem Donnerhall sprengte sie die verschlossene Pforte auf. Die Holzkonstruktion brach aus den Angeln. Krachend stürzte das Tor auf die Brücke, rutschte in den Graben.
    Chaos brach aus. Die Leute auf dem Platz trampelten sich gegenseitig zu Boden, als sie zum Durchgang stürmten. Niemand dachte mehr daran, nach ihm zu greifen. Jeder wollte nur aus der Gegenwart der weißen Hexenkönigin fliehen.
    Lucian rannte. Das magische Leuchten war fort. Er konnte Ravenna nirgends entdecken, weder auf den Treppen, die zum Schloss führten, noch auf dem Platz vor der Barbakane. Die Menge verschluckte ihn und sie, spülte sie womöglich längst über die Brücke in die verwinkelte, unübersichtliche Stadt, während ihn noch immer mehrere hundert Meter vom Torhaus trennten. Im Gedränge suchte er nach ihr, kämpfte darum, auf den Beinen zu bleiben, während alles um ihn herum schrie und rannte.
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis er am Durchgang angelangt war. Dutzende Menschen zwängten sich gleichzeitig durch das Gewölbe. Alle flohen in Richtung Stadt. Ein Rumpeln ertönte, als er sich im Torhaus befand. Ein Brauer lenkte Ross und Wagen durch die Menge, ohne Rücksicht auf jene, die unter die Räder des schweren Gefährts gerieten. Lucian wich hastig aus, aber das Ortscheit – der Querbalken zwischen Zugtier und Wagen – erwischte ihn am Unterschenkel. Er rutschte aus und fiel auf die Knie. Als er wieder auf die Beine kam, trat ihm Velasco in den Weg.
    »Du willst uns schon verlassen, mein Sohn?«, erkundigte sich der Hexer. »Ich hatte nicht den Eindruck, dass unsere Aussprache beendet war.«
    Lucian zögerte nicht eine Sekunde. Einatmen und Zustoßen war eines. AufVelascos stählerne, Funken sprühende Abwehr zu treffen war eine andere Sache. Dann krachte Hieb auf Hieb, schneller als Auge und Verstand zu folgen vermochten. Sie trieben einander durch das Torhaus, über die schlüpfrigen, vereisten Pflastersteine. Die Menge wich vor ihnen zurück. Lucian brauchte nur Sekunden, um zu erkennen, dass er seinem Vater mit der linken Hand unterlegen war. Velasco erwischte ihn quer über der Flanke, ein Treffer, der durch das Kettenhemd abgemildert wurde und ihm trotzdem die Luft aus den Lungen trieb. Mit einem letzten, verzweifelten Stoß stürzte er sich nach vorn, ohne Rücksicht auf die eigene Deckung, die das Ende sowieso nur noch verzögerte, aber nicht mehr aufhalten konnte.
    Velasco wich nicht einmal aus. Seine Finger huschten über den Kristall, und er zischte: »Terra magyca!« Dann traf ihn Lucians Klinge dicht neben dem in Gold gefassten Stein – mitten auf der Brust.
    Velasco trug nur eine leichte Panzerung, mehr Leder als Kette und Stahl. Eigentlich hätte sich das Schwert zwischen zwei Rippen hindurchbohren sollen, bis zum Herz des Hexers. Aber die Schwertspitze drang keinen Millimeter ein. Sie knirschte wie Eisen, das mit voller Wucht auf Felsen trifft, ein Geräusch, das in den Zähnen schmerzte. Die Klinge bog sich kaum merklich. Dann zersprang sie in mehrere ungleiche Stücke, die klirrend zu Boden fielen.
    Lucian starrte auf die zerstörte Waffe, zu atemlos und wund, um den Arm zu heben und sich zu schützen. In einem fernen Winkel des Bewusstseins begriff er, dass sein Vater ihn jetzt wieder festnehmen und zurück ins Schloss schaffen würde. Die panikartige Flucht der Massen, die für

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