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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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nicht aus den Augen.
    »Lucian! Lucian! Verdammt, was ist mit deinem Arm?«, schrie sie zu ihm herunter.
    »Und da kommt er auch schon, meine Damen und Herren«, verkündete Beliar. »Lucian, der Sohn des Burgherrn. Unser tapferer Recke. Ob er auch einarmig mit dem Schwert umzugehen versteht? Gleich werden wir es erleben! Denn ab sofort gilt die Wette, die ich und Velasco abgeschlossen haben. Was meinst du, Lucian: Ob eher der Tod oder der Teufel gewinnt?«
    Die letzten Worte rief Beliar laut zu ihm herab. Er ignorierte den Spielmacher.
    »Ravenna!«, rief er und hoffte, dass sie die Gedanken las, die ihm während der letzten Schritte durch den Kopf schossen. Lauf!, dachte er verzweifelt. Wenn du kannst – dann vergiss mich und lauf um dein Leben!
    Velasco gab den Wächtern ein Zeichen. Sie ließen Lucian los. Er stand auf der zertrampelten Schneefläche mitten im Hof. Hunderte Schaulustige sahen ihn an, die Gesichter bleich in der Kälte. Der Atem der Menschen dampfte.
    Er ließ den Blick über die Menge gleiten, aber er erkannte niemanden mehr. Achtzehn Jahre war es her, dass er zum letzten Mal im Schlosshof gestanden war. Verstohlen öffnete und schloss er die linke Hand, wollte die Finger in der Kälte beweglich halten. Er wusste nicht, was auf ihn zukam. Der rechte Arm fühlte sich wie abgestorben an. Das war nicht einmal schlecht, denn es betäubte den Schmerz in der misshandelten Hand. Von einem Gegner war weit und breit keine Spur zu sehen. Stattdessen trottete ein Hund über den Platz und schnüffelte an den Fußabdrücken. Von der versammelten Menschenmenge kam kein Laut.
    Langsam ging Lucian bis zur Mitte des Rechtecks. Sein Vater starrte ausdruckslos zu ihm herunter. Der Blick des Burgherrn war ihm so unangenehm wie eh und je. Der einzige Trost lag in dem Gedanken, dass Velasco nicht das Geringste aus ihm herausbekommen hatte. Wie auch? Schließlich hatte er seine Freunde seit über einem halben Jahr und einem dreiviertel Jahrtausend nicht mehr gesehen. Er hatte keine Ahnung, was der König in den Bergen wollte.
    Plötzlich kam ein junger Mann auf ihn zu, ein Bursche mit Lockenschopf und einem sanften Lächeln wie ein Barde. Ihm folgte ein dürrer Mönch, der trotz der Kälte barfuß ging. Der dritte Mann war der Schmied, ein Kerl mit Fäusten wie Eisenhämmern.
    Der Lockenschopf verschränkte die Hände vor der Brust und verneigte sich. Verblüfft erwiderte Lucian den Gruß. »Wir sind Eure Gegner«, raunte der Bursche, als er merkte, dass Lucian den Ernst hinter der Verbeugung nicht begriff. »Wir fordern Euch zum Duell heraus.«
    »Auf keinen Fall«, erwiderte Lucian. Der Bursche war noch keine zwanzig, und der Mönch trug nur eine Kutte aus Wollstoff, die mit einer Schnur gegürtet war. Ihn dagegen hatte man trotz seiner Gegenwehr in eine Rüstung aus feinen, beweglichen Stahlringen gesteckt. Das Gewicht des Kettenhemds drückte nach langer Zeit wieder vertraut und seltsam tröstlich auf seine Schultern.
    »Wir haben uns freiwillig gemeldet«, erklärte der Junge. »Jeder von uns möchte das Kopfgeld verdienen.«
    »Das was ?«, fragte Lucian. Seine Verwirrung wuchs von Minute zu Minute.
    »Die Belohnung, die Euer Vater auf Euch und die Hexe aussetzte«, erwiderte der Mönch. »Es ist eine große Summe, die unserer Gemeinschaft gerade recht käme. Außerdem ist es eine gute Sache, das Böse zu bekämpfen.«
    Mit diesen Worten löste er die Schnur, die um seine Hüften gewickelt war. Da erkannte Lucian, dass sie mit Bleigewichten und messerscharfen Metallstücken versehen war. Der Lockenschopf ließ eine Sichel aus dem weiten Ärmel gleiten, ein Werkzeug, mit dem die Bauern im Herbst das Korn schnitten. Dem schweigsamen Schmied dagegen reichten die Fäuste. Die drei Herausforderer fingen an ihn zu umkreisen.
    »Nur damit das klar ist: Meine Hexe ist keine Weiße Frau«, stieß Lucian hervor. »Ravenna tut niemandem etwas zuleide.«
    Er dachte nicht daran, nach dem Schwert zu greifen. Niemals im Leben würde er mit der blanken Waffe gegen ungerüstete Gegner kämpfen.
    Zwei schnelle Schritte – da stand der Lockenschopf vor ihm. Der Junge hakte die Schneide der Sichel unter den Schwertgurt und hätte ihn um ein Haar von der Klinge getrennt. Mit der linken Hand versetzte er dem Burschen einen Stoß vor die Brust. Der Lockenschopf fiel in den Schnee, doch er berührte kaum den Boden, als er mit einem geschmeidigen Satz wieder auf die Füße sprang. Die Menge stöhnte auf.
    Das war kein Bauer. Die

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