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Tore in der Wüste

Tore in der Wüste

Titel: Tore in der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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sternenübersäte Himmelszelt dahinter, gewaltig in seinen unfaßlichen Dimensionen, und ein erhabenes Gefühl überkam mich, zweifelsohne zusammengesetzt aus der Genesung von all meinen Verletzungen, einer fast metaphysischen Befriedigung meiner akrophilen Neigungen und schließlich einer generellen Müdigkeit, die sich langsam durch meinen ganzen Körper auszubreiten schien wie ein leiser, sanfter Schneefall. Ich war bisher noch niemals in einer solchen Höhe gewesen, wo die Entfernungen unschätzbar waren, man kaum eine Perspektive erkennen konnte und man sich mit der andauernden Gegenwart von Raum, Raum und nochmals Raum konfrontiert sah.
    Die Schönheit aller grundlegenden Dinge, Dinge, wie sie waren, und Dinge, wie sie sein konnten, wurde mir plötzlich bewußt, ich erinnerte mich an einige Zeilen, die ich vor langer Zeit hingekritzelt hatte und mit denen ich Mathe als Hauptfach abgewählt hatte, anstatt einen Abschluß zu machen:
     
    Lobaschewsky allein sah die Schönheit bar,
    Sich windend hier, sich windend dort, sich windend immerdar.
    Ihre parallelen Lippen sind wartend bereit,
    Mit unkallipygianischer Manier
    Und weniger als hundertachzig Grad die Schenkel entzweit,
    Liegt ihr herrliches Dreieck vor dir bereit.
    Von ihrer Körpersymmetrie war Riemann wenig berührt,
    Die Geometrie hat ihn mehr interessiert.
    Schön ist die Ellipse, das kann man verstehen
    Doch, Bescheidenheit, hebe dich fort!
    Endlich will ich die Schönheit hüllenlos sehen,
    Genug von dem mathematischen Wort.
    Die Welt ist rund, darauf kann man vertrauen,
    Die Gerade ist nichtig, die Kurve ist richtig.
    Wird ein letzter Wunsch mir erfüllt, ist das Sterben unwichtig,
    Laßt mich einmal nur durch Lobaschewskys Augen noch schauen.
     
    Ich fühlte mich schläfrig. Ich hatte in periodischen Abständen das Bewußtsein verloren und wiedererlangt, daher hatte ich keine Ahnung, wieviel Zeit verstrichen war. Meine Uhr war stehengeblieben, also auch keine Hilfe mehr. Ich widersetzte mich dem Wunsch, aufzustehen und nachzusehen, zum einen, um mir den ästhetischen Genuß des Anblickes zu erhalten, zum anderen, um dem herrschenden Zwist zu entgehen.
    Ich war mir nicht sicher, ob meine Retter von meinem Wachsein wußten, da ich das Gesicht abgewandt hatte; ich war eingebettet in eine Art Hängematte aus weichem, anschmiegsamen Gewebe. Aber selbst wenn sie es wußten, gab ihnen ihre Unterhaltungsmöglichkeit in einer mir unbekannten Sprache wohl ganz von selbst ein Gefühl des Ungestörtseins. Schon vor geraumer Zeit war mir aufgefallen, daß die Sache, die sie wahrscheinlich am meisten überrascht hätte, mich selbst noch wesentlich mehr überraschte. Es handelte sich um meine Entdeckung, ihre Sprache verstehen zu können, wenn ich mich nur ein wenig darauf konzentrierte.
    Dieses Phänomen läßt sich nur sehr schwer mit einfachen Worten erklären, aber ich will es trotzdem einmal versuchen: Wenn ich ihren Worten aufmerksam lauschte, dann schwammen sie buchstäblich von mir weg wie individuelle Fische in einem nach Tausenden zählenden Schwärm. Wenn ich nun einfach nur die Wasseroberfläche im Auge behielt, dann konnte ich den sich verändernden Linien folgen, die Strudel ausmachen und die Spritzer erkennen. Und genauso konnte ich verstehen, was sie sagten. Aber warum das so war, davon hatte ich keine Ahnung.
    Nach einer Weile interessierte es mich auch nicht mehr, denn ihre Dialoge kreisten immer um dieselben Themen. Da war es schon wesentlich lohnender, die verkürzte Zykloide, die der Mount Chimborasso verursachte, zu betrachten, wenn man sich irgendwo über dem Südpol befand und diesen Teil der Oberfläche überschauen konnte, der sich, gemäß dem Orbit des eigenen Körpers, unter einem wegbewegte.
    Plötzlich machte ich mir Sorgen wegen meiner Gedankengänge. Wo hatte denn beispielsweise der letzte seinen Ursprung genommen? Ich fühlte mich herrlich, aber ging dieses Gefühl wirklich von mir aus? Hatte irgendein Ventil den Zugang zu meinem Unterbewußtsein geöffnet und so den Fluß der Libido entfesselt, der nun gewaltige Sandbänke verschiedenster Gefühle von den Ufern meiner Erinnerung losriß, um sie zu den saftigen Wiesen meines Geistes zu transportieren, wo sich normalerweise mein ganzes bewußtes Denken abspielt? Oder konnte es sich um ein telepathisches Phänomen handeln ich selbst in einer psychisch schutzlosen Position und zwei völlig fremde Bewußtseinsinhalte als einzige Kommunikationspartner im Umkreis von Tausenden von

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