Tore nach Thulien 1 : Dunkle Gassen (German Edition)
auch eine kleine Leichenkammer besaß. Dunkel und feucht war es dort unten, und die Ratten ständige Gäste der Gefangenen. Außer einem schmalen Strohlager und den Nachttöpfen gab es nichts. Licht fiel nur über enge Schächte hinab, von denen die meisten sowieso vom Dreck und Unrat der Straßen verstopft waren. Kaum eine der Zellen war belegt und die wenigen, die es waren, stanken erbärmlich. Tristan kam nicht gerne hierher. Obwohl er wusste, dass hier unten niemand saß, der es nicht verdiente, taten ihm die Gefangenen Leid. Kein Tageslicht, schlechte Verpflegung und keinerlei Kontakt zur Außenwelt waren die Strafen, mit denen die Gefangenen zu kämpfen hatten. Viele gingen daran zu Grunde, und die wenigen, die es überlebten, waren danach nicht mehr dieselben. Der Gefängniswärter betrachtete dies freilich als Erfolg und sah sich in seiner Methodik bestätigt. Dem Herzog war dabei nur das Ergebnis wichtig, der Weg dorthin nicht sonderlich. Und selbst wenn er gewillt wäre, etwas zu ändern, spätestens am Stadtsäckel würde sein Vorhaben kläglich scheitern. Die Kassen waren leer. Nicht nur im Herzogtum Leuenburg, auch im Rest des Reiches war bare Münze Mangelware. Der letzte Krieg vor fünf Jahren hatte, einem unüberschaubaren Strudel gleich, alles Geld aus den Stadtsäckeln gesaugt und bis heute hatten sie sich davon nur unmerklich erholt.
Die Leichenkammer war ein schauriges Loch. In einer Ecke stand eine große, rußende Öllampe und in der Mitte befand sich der Aufbahrungstisch. Altes Blut klebte an den Holzfüßen des Tisches und der Boden war mit blutigen Schleifspuren übersät. Tristan fragte sich, wie, in der Herrin Namen, jemand in diesem Drecksloch arbeiten konnte. Vom Gestank einmal ganz abgesehen. Ein Blick auf den Kerkermeister ließ es ihn erahnen. Der Kerl war nicht nur bleich, er war weiß. Die Sonne kannte er vermutlich nur noch vom Hörensagen und er stank mindestens genauso schlimm, wie es in den Gefängniszellen roch. Die Augen waren rot unterlaufen und Tristan war sich sicher, dass es nicht an der Arbeit oder dem Stress lag. Wein und Schnaps, so vermutete er, hießen seine besten Freunde und er konnte ihm das nicht einmal verübeln. Jeder der längere Zeit hier unten verbrachte, musste irgendwann damit anfangen, seine Nerven und Sinne zu betäuben. Alkohol war da ein beliebtes Mittel.
Tristan entließ den Kerkermeister aus seinem Dienst, die Fackel behielt er bei sich. Das fahle Licht der Ölfunzel reichte nicht einmal annähernd aus, um den Leichnam genauer zu untersuchen.
Der Mann war ungefähr dreißig Winter alt und hatte die Größe von Tristan. In Farben aus Schwarz und Rot trug er fremd anmutende Kleidung am Leib. Ein schmaler Gürtel umschlang die Taille des Mannes, von einer goldenen Schnalle zusammengehalten. Beiderseits der Schnalle säumten kleine Laschen und Schlaufen den Gürtel und in mancher steckten Dolche, Wurfpfeile oder Messer. Um den Hals des Leichnams war ein schwarzes Tuch gewickelt, das bei Bedarf bis über den Nasenrücken gezogen werden konnte. Tristan kannte Tücher dieser Art, doch gehörten sie in Leuenburg definitiv nicht zur getragenen Mode. Ein Fremder lag dort vor ihm aufgebahrt. Nicht von hier und auch nicht aus den nördlichen Herzogtümern folgerte Tristan.
Vielleicht doch keine der üblichen Händel? Er sah nachdenklich auf den Leichnam herab. Die tödliche Wunde, so hatte er sich vom Kerkermeister sagen lassen, sei ein Stich in die Seite des Opfers gewesen. Absolut tödlich, auch mit sofortiger Hilfe durch einen Feldscher. Tristan lief es eiskalt den Rücken runter. Der Täter hatte genau gewusst, was er tat. Kein großer Schnitt, kein großes Aufsehen, lediglich ein wohl platzierter Stich. Tristan sah in die glanzlosen, erloschenen Augen des Toten. Er meinte, so etwas wie Überraschung und Unglauben in ihnen zu entdecken. Hatte er nicht gewusst, wie ihm geschah? Tristan beugte sich nach vorne, die Fackel dabei etwas weiter an den Leichnam haltend. Er sah sein eigenes Spiegelbild in den Augen des Toten, doch so viel er auch forschte, mehr entdeckte er nicht. Sein Blick ging zur Wunde. Der Einstich war wirklich nicht sonderlich groß. Eine Wunde, wie sie ein Dolch oder ein größeres Messer verursachen konnte. Der Stoff um das Loch war blutgetränkt und das Fleisch dahinter blau unterlaufen. Tristan roch daran, doch außer dem bereits einsetzenden Verwesungsgeruch konnte er nichts anderes feststellen.
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