Torschlussmami: Eine Frau auf der Suche nach dem großen Babyglück (German Edition)
zumindest keine, die ich, ganz zu schweigen von Stephen, überzeugend genug finde. Selbst als Erwachsene war ich am Boden zerstört, als meine Eltern sich scheiden ließen. Ich bezweifle, dass wir uns als Familie jemals davon erholen werden. Ich kann mir nur vorstellen, wie viel schwerer es für mich gewesen wäre, wenn mein Vater uns verlassen hätte, als ich noch ein Kind war. Auch wenn ich die Meinung von Stephen teile, dass ein kaputtes Zuhause für Kinder besser ist als ein unglückliches, finde ich die Vorstellung unerträglich, mein Kind dem Leid und der Instabilität zerrütteter Familienverhältnisse auszusetzen. Wenn die Institution Ehe mich dazu veranlasst, es noch einmal zu versuchen oder mich einen Tick mehr anzustrengen, bevor ich die Schlösser auswechsle und meinen Hochzeitsring versetze, dann fällt es mir tatsächlich schwer, sie als etwas anderes als eine gute Sache zu verstehen.
Ich hasse es, dass Stephen mit einem einzigen Satz eine Überzeugung umstoßen kann, an der ich über so viele Jahre hinweg derart leidenschaftlich festgehalten habe. Ich habe mir nie vorgestellt, verheiratet zu sein, aber ich habe mir auch nie vorgestellt, Mutter zu sein. Es sieht so aus, als stünde das Jahr unter dem Motto ›Sag niemals nie‹.
Kaum habe ich mich von Stephen verabschiedet, rufe ich Chris an, um ihm von dem Gespräch zu berichten. Ich traue meinen Ohren nicht, als Chris sagt, dass er Stephen recht gibt. Ich habe stattdessen erwartet, dass er das Gegenargument liefert, das mir vorhin nicht einfallen wollte.
»Wenn du an die Ehe glaubst«, sage ich fassungslos, »warum hast du dann nie was gesagt?«
»Weil du mir gleich bei unserem ersten Date erzählt hast, dass du niemals heiraten wirst, und ich habe dir geglaubt«, erwidert Chris.
»Dann wärst du, rein hypothetisch, bereit, mich zu heiraten?«
»Ja, Häschen.«
Am Abend, irgendwann zwischen »Was sollen wir essen?« und »Was möchtest du am Wochenende machen?«, knüpft Chris beiläufig an die Unterhaltung vom Nachmittag an: »Und, denkst du, wir sollten heiraten?«
»Nicht so schnell«, entgegne ich. Es ist nicht so einfach, in weniger als zwölf Stunden eine meiner leidenschaftlichsten und festesten Überzeugungen um hundertachtzig Grad zu drehen. Ich muss erst darüber nachdenken.
Und wenn ich nachdenken sage, meine ich das ernst: Ich muss ganz schwere Geschütze auffahren. Und so kehre ich zurück in das Vipassana-Meditationszentrum zu einer weiteren mörderischen Sitzung des Schweigens, der Isolation, des Hungerns und der körperlichen Schmerzen. Ich habe nicht mehr genug Urlaub, um wie beim ersten Mal den zehntägigen Kurs zu belegen, sondern muss mich mit einem dreitägigen Seminar begnügen. Zehn Tage kommen jetzt ohnehin nicht infrage, da ich in fünf Tagen meinen Eisprung habe. Und da im Meditationszentrum strikte Enthaltsamkeit und Geschlechtertrennung oberste Priorität haben, halte ich es für unwahrscheinlich, dass man mir einen unehelichen Besuch gestattet.
Der Sinn der Meditation ist, den Verstand zu kontrollieren, um sich einzig auf die körperlichen Empfindungen zu konzentrieren. Man soll dazu all die wahllosen Gedanken ausschalten, die einem permanent durch den Kopf schwirren, Gedanken voller Selbstzweifel und Kritik, selbst profane Gedanken wie den, wann das nächste Waxing der Beine fällig ist oder ob man daran gedacht hat, Ersatzunterwäsche einzupacken. Während des letzten Kurses ist es mir ein paar Mal gelungen, den geistigen Lärm und meine innere Selbstkritik auszuschalten. Das war der Moment, in dem ich das Miststück in mir zum Schweigen brachte. Und in diesen Momenten geschah eines dieser beiden Dinge, die Vipassana beabsichtigt: Mein Verstand war still, und ich spürte einen unglaublichen Frieden. Ich hatte einen Aha-Moment. Sie wissen schon, einen dieser seltenen Augenblicke, in denen einem plötzlich ein Licht aufgeht. Ich gewann Erkenntnisse, welche die Probleme lösten, mit denen ich mich schon seit Jahren herumschlug, und als ich nach Hause kam, fühlte ich mich ausgeglichener, befreiter und erwachsener als jemals zuvor. Ich hoffe, das gelingt mir dieses Mal wieder.
Als ich am ersten Tag wieder in der Meditationshalle sitze, überkommt mich das Bedürfnis, schreiend davonzulaufen. Ich erinnere mich in aller Deutlichkeit, welch seelische und körperliche Qual das damals war, und ich kann nicht glauben, dass ich mir das freiwillig ein zweites Mal antue. Man hat mir gesagt, genau das passiere auch, wenn
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