Torstraße 1
recht, warum es ihr nicht ganz geheuer ist, ihren Bernhard mit der kleinen Elsa zusammenzubringen. Vielleicht, weil Vicky das mit den Geschwistern gesagt hat. Und weil ihr Wilhelm bei der Geburt dabei war. Und es keinen Vater gibt zu dem Kind.
Im Kaufhaus ist es voll, und Martha stürzt sich mit den Kindern ins Gedränge. All die aufgetürmten Waren, die Farben, das Gemurmel und die Gerüche stimmen sie fröhlich, als brauchtesie nur das. Viele Menschen und ein Gewusel, dass man nicht mehr zum Grübeln kommt. Bernhard sitzt auf ihrer Hüfte und schaut um sich mit offenem Mund. Charlotte bleibt dicht neben ihr beim Schlendern durch die Etagen. Hier gibt es Spiegel, darin kann man sich von Kopf bis Fuß anschauen. Martha sieht nur einmal kurz hinein und denkt an die schlanke Vicky. Mit ihren breiten Hüften und den schweren Brüsten, obwohl keine Milch mehr drin ist, sieht sie dagegen wie eine Landfrau aus. Macht nichts, denkt Martha und steckt sich das Haar zurecht. Der Wilhelm mag ja meine Hüften und meine Brüste auch. Ein bisschen rot wird sie bei dem Gedanken, als wüssten die Menschen rechts und links, was ihr so durch den Kopf geht.
Dass es auch nach dem Schwarzen Freitag im Kaufhaus so voll ist, das wundert Martha. Als hätten die Leute keine Geldsorgen. Oder sie kamen gerade deshalb, weil man bei Jonass auf Pump kaufen kann. Möbel, Geschirr und Bettwäsche. Sie selbst hat gelernt, keine Schulden zu machen – und was sonst ist schließlich dieses Auf-Pump-Kaufen. Doch ein richtiges Bett für Charlotte wäre gut, sie wächst aus dem Kinderbettchen heraus. Das könnte dann Bernhard bekommen. Und ein gutes Geschirr, wie es sich für eine anständige Arbeiterfamilie gehört. Das sind so Wünsche, ganz vernünftige Wünsche im Grunde, denkt Martha und fasst sich ein Herz. Sie wird auch einen Kaufschein erwerben und damit ein Bett für Charlotte.
Vor dem Kassenhäuschen hat sich eine lange Schlange gebildet. Hier kommen die Kunden her, die auf Pump gekauft haben oder kaufen wollen, um ihre Kaufscheine zu holen oder Raten zu begleichen. Endlich ist Martha an der Reihe. Mit zittrigen Händen überreicht sie dem Herrn am Schalter ein paar Scheine als Anzahlung. Sie hat die Verkaufsnummer für das Bett aufgeschrieben und dann noch eine fürs Geschirr. Ein heruntergesetztes Service aus weißem Porzellan. Sie muss sich ausweisen und Wilhelms Beruf angeben.
Der Mann hinter dem Schalter schüttelt den Kopf. »Für einen solchen Kauf fehlen Ihnen die Sicherheiten!« Sehr laut sagt er das, sodass es die Umstehenden hören müssen. Martha zieht den Kopf ein und möchte davonlaufen. Da bleibt eine Frau in Verkäuferinnentracht neben der Warteschlange stehen und kommt näher. Aber das ist doch Vicky Springer!
Vicky geht zum Kollegen am Schalter und fragt, ob es ein Problem gebe. Der Kollege erklärt, dass ein Kredit für ein Bett und ein Service auf einmal nur bei gesichertem Einkommen gewährt wird. Und davon könne heutzutage bei einem einfachen Handwerker nicht die Rede sein.
»Was heißt hier einfacher Handwerker?«, weist Vicky ihn zurecht, während Martha mit rotem Kopf daneben steht. »Wilhelm Glaser ist einer der besten Zimmerleute der Stadt. Er hat dieses Haus hier eigenhändig gebaut und dabei fast sein Leben verloren.« Als der Kollege noch immer zögert, fügt sie hinzu: »Diese Dame bekommt in unserem Haus jeden Kredit, den sie will. Ohne ihren Mann wäre das Jonass beim Bau zusammengestürzt, wissen Sie das nicht?«
Nein, davon weiß der Kollege nichts. Aber bevor er sich eine Blöße gibt, stellt er die Scheine eben aus, stempelt ab, und bitte sehr.
»Mein Mann is ooch uffm Bau!«, ruft eine Frau in der Warteschlange. »Krieg ick dann ooch allet hier, wat ick will?«
Die Umstehenden lachen. Martha schiebt die Kaufscheine in ihre Handtasche und zieht Charlotte von der Kasse weg.
»Stimmt das, Mutti?«, will Charlotte ganz aufgeregt wissen, »wär das Kaufhaus gestürzt ohne Vati?«
Vicky umarmt Martha zur Begrüßung, als seien sie tatsächlich Verwandte oder gute Freundinnen. Dann nimmt sie Martha den kleinen Bernhard von der Hüfte und hält ihn hoch über ihren Kopf. Betrachtet ihn, als wolle sie ihn nicht wieder loslassen. »Was für ein Prachtkerl du bist!«
Der Kleine lacht und zeigt zwei blitzend weiße Zähnchen. »Oh«, ruft Vicky, »die hat Elsa auch schon. Mit viel Geschrei und Gezeter, aber jetzt sind sie da. Wie schade, dass Elsa nicht hier ist! Und wo ist Wilhelm?«
Martha nimmt ihren
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