Torstraße 1
Douglas Skymaster.
»Hierher, hierher!«, schreit Werner gegen den Motorenlärm an und wedelt mit dem Taschentuch. »Schokolade und Schuing Gumm zu mir!«
»Tschuing Gamm«, verbessert Klaus. »Das heißt Tschuing Gamm. Und außerdem«, er tritt gegen einen zerbrochenen Ziegelstein, »brauchen wir keine Almosen. Erst werfen sie uns Bomben auf den Kopf und dann Schokolade.« Er zieht den jüngeren Bruder am Ärmel. »Komm nach Hause.«
Werner macht sich los und stellt sich einige Meter von Klaus entfernt zu den anderen Jungen, die das Flugzeug begrüßen, indem sie winken und ihre Mützen in der Luft schwenken. Jeder will auf dem höchsten Punkt des Trümmerbergs stehen und wippt dort oben auf den Zehenspitzen.
»Hey, das ist eine Douglas Dakota!«, schreit der Junge aus dem Nachbarhaus, der Werner schon öfter auf dem Schulwegverprügelt hat. Werner kann nicht begreifen, wie man so dämlich sein kann. Das sieht doch ein Blinder, dass es sich hier nicht um eine C-47 handelt, sondern um eine C-54. Aber er hält lieber den Mund. Und dann geschieht das Unfassbare: Das Flugzeug über ihnen wackelt mit den Flügeln. Kurz darauf segeln kleine schwarze Gebilde herab. Einen Moment stehen alle still und starr mit emporgereckten Köpfen. Dann bricht Jubel aus.
»Ein Candy-Bomber! Ein Candy-Bomber!«, kreischen die Jungen und hüpfen in ihren durchlöcherten Schuhen in die Luft. »Schocklett, Schocklett!«
Einzelne Schotterstücke lösen sich und kullern den Schutthaufen hinab. Klaus steht einige Schritte weiter unten mit verschränkten Armen abseits. Er hebt einen Stein auf und zielt damit nach dem Flugzeug. Der Stein fliegt hoch in die Luft und fällt dicht neben den Jungen zu Boden.
Das Flugzeug zieht in einer weiten Kurve davon, doch die kleinen Fallschirme taumeln langsam zur Erde. Zwei landen auf einem Hausdach, ein anderer verfängt sich in einer Stromleitung. Und ein paar steuern als Landebahn offenbar genau ihren Trümmerberg an! Die Jungen breiten die Arme aus. Als die Fallschirme in Reichweite geraten, stürzen sie durcheinander und boxen sich gegenseitig aus dem Weg. Einer stellt Werner ein Bein, er fällt ein paar Meter abseits des Getümmels auf den Schotter. Seine Knie und Handflächen tun höllisch weh, als er sich wieder aufrappelt, um den anderen hinterherzurennen. Da schwebt genau vor seiner Nase das größte Wunder von allen herab. Ein Ballon mit aufgemaltem Gesicht, an dem ein Brief baumelt: ein leibhaftiger Shmoo! Davon hat er bisher nur erzählen und flüstern hören, wie man von Siebenmeilenstiefeln, Einhörnern und Wunderwaffen gehört hat und nie recht wusste, ob es so was wirklich gibt oder nur in Geschichten.
Blitzschnell stopft Werner den Ballon unter die Jacke und klettert den Trümmerberg hinab. Sein Bruder ist verschwunden.Werner sieht zu, dass er seinen Schatz so schnell wie möglich heil nach Hause bringt. Ein Shmoo bedeutet ein CARE--Paket!
»He, Hosenscheißer, was rennst du?«, ruft es hinter ihm her. Werner dreht sich nicht um. Ein Stein trifft ihn im Nacken, kurz darauf fühlt er, wie ihm etwas Warmes in den Kragen rinnt. Nur weiterlaufen, gleich ist er in Sicherheit.
Mit zitternden Fingern hat er die Wohnungstür hinter sich zugezogen und öffnet seine Jacke. Er holt den Ballon hervor und küsst das Gummiwesen auf den grinsenden schwarzen Mund. Ein Shmoo – das ist der Hauptgewinn! Das muss auch sein Bruder anerkennen. Und wie Mama und Elsa sich erst freuen werden! Klaus stochert im engen Zimmer der beiden Jungen im Ofen. Er dreht Werner den Rücken zu, während der mit lauter Stimme vorliest, was auf dem Briefchen steht. »Hallo – ich bin ein Shmoo! Vielleicht habt ihr noch nie von mir gehört. In Amerika bin ich ziemlich berühmt als ein Fabeltier, das allen Menschen Gutes tut. Zum Beweis dafür bringt mich zum CARE-Büro, wo ich mich in ein CARE-Paket verwandeln werde.«
Klaus schließt die Ofenklappe und dreht sich langsam um. »Wie siehst du denn aus? Blutflecken am Kragen, Blutflecken an den Knien, die ganzen Sachen versaut. Das wird Mama aber gar nicht gefallen.«
»Na und? Wenn sie erst mal sieht, was ich …«
»Geh dich waschen!«
Werner legt Shmoo und Brief auf den Tisch und geht in die Küche zum Waschtisch. Dort zieht er Hose und Pullover aus, um die Blutflecken auszuwaschen. Erst jetzt, während er Gesicht und Hände schrubbt, spürt er wieder, wie die Schrammen brennen. Er fasst sich in den Nacken, fühlt etwas Klebriges und zuckt zusammen.
»Klaus, kannst
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