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Torstraße 1

Torstraße 1

Titel: Torstraße 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sybil Volks
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kalt auf der Haut. Sie starrt auf ihr Spiegelbild an der Wand. Wenn irgendjemand auf sie aufgepasst hat, war es Elsie. »Lasst das Kind!«, hat sie geschrien. Sich vor sie gestellt und auf sich selbst gezeigt. »Nimm Frau.« Tatsächlich haben sie Elsa gelassen. Sie brauchte nur zuzusehen … Was sucht ausgerechnet Elsie hier zwischen den Uniformen? Von deutschen Männern will sie erst recht nichts mehr wissen. »Nazis und Krüppel«, hat sie verächtlich gesagt. »Die Guten sind alle tot oder fort.« Einmal, als sie ziemlich betrunken war, hat sie hinzugefügt: »Wie dein Vater.« Und damit hat sie niemals Helbig gemeint! Doch sie weigert sich zu reden. Ein Guter also. Tot oder fort?
    Plötzlich sind sie in Scheinwerferlicht gebadet. Elsa schließt die Augen, ihr bricht der Schweiß aus. Unter dem Tisch sucht sie nach Elsies Hand, erwischt einen Zipfel ihres Kleides. Der Lichtkegel wandert weiter. Irgendwo im Dunkeln beginnt eine Frauenstimme zu singen: »How do you do, hallo Fräulein, wie geht es?, fragt der Boy, und das Mädchen versteht es …« Der Lichtkegel fährt durch den Raum, richtet sich auf den Eingang. Wie aus dem Nichts taucht sie auf: Eine Frau in blauem Paillettenkleid steht an die Mauer gelehnt und singt mit halb geschlossenen Augen.
    Um Mitternacht ist das ganze Gewölbe von Rauch erfüllt. Die Band spielt den »G. I.-Jive« von Louis Jordan, und die Beine zucken, die Hüften kreisen. Elsie tanzt mit einem Ami, der ihr Sohn sein könnte. Er wirft sie über die Schulter, sie landet sicher auf beiden Füßen.
    »You’re my candy-bomber!«, ruft er. Die Umstehenden applaudieren. Elsa hat ein Weilchen allein am Tisch gesessen, das kennt sie schon von der Tanzstunde. Die Jungs, die kleiner sind als sie oder gleich groß, und das sind ziemlich viele, trauen sich nicht an sie heran. Aber nun tanzt sie schon den dritten Tanz in Folge mit diesem Tony und muss gleich entscheiden, ob sie noch den vierten mit ihm tanzen soll. Er führt wirklich fantastisch, aber vielleicht glaubt er dann … Auf einen Schlag geht das Licht aus.
    »Strom-sper-re!«, jubelt die Meute und tobt im Dunkeln durch den Saal. Die Band spielt, als ob nichts geschehen sei. Neben Elsa ein Schmerzensschrei: »Aaah, my foot!« Auch Tony tanzt weiter wie zuvor, nur dass er sie noch enger an sich drückt. Dann spürt sie etwas Feuchtes, Kitzliges an ihrem Hals, ihren Ohren. Sie will ihn wegschieben, schlingt ihm stattdessen die Arme um den Hals und sucht seinen Mund. Still stehen sie auf der Tanzfläche, während die anderen sich weiter im Dunkeln um sie herum schieben. Ihre Lippen kleben aneinander und auch ihre Körper. Da spürt sie es wieder, gegen ihren Bauch gedrückt, sie muss an Bernhard denken, auch da war es fast dunkel gewesen, aber sie konnte seine Augen sehen, die waren auf einmal so fremd, der Geruch nach Weihnachten hatte etwas Salziges angenommen.
    Ein Poltern an der Tür. Mehrere Uniformierte platzen herein. »Uuuh«, schreit jemand, »Razzia!« Einige Paare tanzen weiter und ignorieren die Militärpolizisten, von denen ein paar den Ausgang blockieren, während andere sich Einzelne herausgreifen und im Schein ihrer Taschenlampen Papiere kontrollieren.Ihr Tony hat sie losgelassen, sich abseits von ihr gestellt und ein unschuldiges Lächeln aufgesetzt. Dabei hat er einen dicken Lippenstiftabdruck auf der Wange. Gleich neben ihr ist ein Streit losgebrochen. Mehrere Uniformierte haben zwei Frauen eingekreist und in die Ecke gedrängt. Sie leuchten den beiden mit ihren Lampen ins Gesicht. Die Jüngere schlägt die Hände vor die Augen, die Ältere blinzelt nicht einmal.
    »Name?«, schnarrt einer.
    »Veronika«, sagt die Ältere.
    »Weiter?!«
    »Dankeschön.«
    Die Umstehenden johlen. Jeder hier kennt Veronika Dankeschön alias VD, Venereal Desease.
    Dass eine sich selbst mit diesem Namen bezeichnet, bringt die Polizisten für einen Moment aus der Fassung. Kurz darauf werden die Frauen abgeführt.
    »Oje«, seufzt Elsie, die neben Elsa aufgetaucht ist, »das bedeutet Zwangsuntersuchung. Wenn sie was finden, Zwangsisolierung, Strafanzeige. Steckbrief mit Namen und Fotos der Frauen …«
    Elsa fragt sich, woher Elsie das alles so genau weiß, da bauen sich zwei Polizisten vor ihr auf. »Papiere!«
    Das war’s dann wohl. Jetzt wird Vicky alles erfahren.
    »Lassen Sie das Mädchen!« Elsie stellt sich vor sie und zeigt auf sich. »Es ist meine Schuld.«
    Elsa tritt hinter ihrer Patin hervor. »Nein«, sagt sie. »Es war meine

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