Torte mit Staebchen
halbe Chinesin.
Er war zum Parkplatz vorausgegangen und hatte am Tor eine Frau entdeckt, die neben einem Pott mit dunkler Brühe am Boden hockte und warme Teeeier verkaufte. Die Mischung aus starkem schwarzem Tee, Sojasoße und Anis gab den Eiern eine schöne Farbe und ein kräftiges Aroma. Max hatte ihr zwei abgekauft und hielt Inge eins hin, als sie aus dem Tempel kam.
»Das ist auch was, das ich an den Chinesen schätze«, sagte Inge. »Überall gibt’s was zu mampfen.«
»Genau«, bestätigte Max, während er sein Ei pellte. Jetzt konnte er wieder mitreden. »Und aus allem entwickeln sie eine Geschäftsidee, simpel, aber einträglich. Davon kann man nur lernen.«
Auf der Rückfahrt ließ Inge sich von dem Tempo, das Max vorlegte, in den Sitz drücken und war einfach nur glücklich.
Vor dem Eingang zur Lane stieg ihr Chauffeur aus, umrundete den Kühler und öffnete ihr formvollendet den Schlag. Inge war sich der Blicke ihrer Nachbarn durchaus bewusst: Die Langnasen standen diskret hinter der Gardine, die Chinesen in voller Sicht am Fenster. Aber das war ihr egal. Nach diesem Ausflug fühlte sie sich gründlich durchgelüftet und höchst zufrieden. Es gab noch etwas anderes als die Enge, den Mief und die Schäbigkeit von Hongkou. Und sie fühlte sich bestärkt in ihrem Entschluss zu bleiben, nicht im »Mund des Regenbogens«, aber in dieser Stadt. Dankbar drückte sie Max einen Kuss auf die Wange: »Einen Abschiedskuss für den braven Max.«
An diesem Ritual hatten sie festgehalten, auchwenn es im hellen Licht des Tages etwas züchtiger ausfiel.
***
Bei den Finkelsteins betrieb nun jeder stillschweigend seine eigenen Zukunftsvorbereitungen. Vater Finkelstein hatte bei den Konsulaten möglicher Einwanderungsländer vorgesprochen und Anträge gestellt, natürlich erst mal für die gesamte Familie. Mutter Finkelstein nahm sich in Mußestunden Inges Lehrbücher vor und lernte Englisch. Und Inge? Sie war selbst ganz verblüfft gewesen von dem fertigen Plan, den sie ihren Eltern beim Familienrat unterbreitet hatte. Mittlerweile hörte er sich längst nicht mehr so fantastisch an, und sie hatte ihn, zumindest in Teilen, auch schon in die Tat umgesetzt.
In der ehemaligen Franzosenstadt hatte sie einen Kindergarten ausfindig gemacht, in dem sie, zunächst als Ferienjob, an drei Nachmittagen pro Woche aushalf. Frau van Gaal, die holländische Leiterin, war Inges Talent im Umgang mit Kleinkindern sofort aufgefallen.
»Inge, dich hat mir der Himmel geschickt. Ich weiß gar nicht, wie ich ohne dich zurechtgekommen bin«, versicherte sie ihr nach der ersten Woche. »Derzeit kann ich mich vor Anmeldungen gar nicht retten. Viele der internationalen Geschäftsleute wollen ihre Firmen wieder eröffnen, und neue kommen in die Stadt. Auch viele Chinesen schicken ihre Kinder jetzt zu uns, damit sie Englisch lernen.«
Offiziell wurde im Kindergarten Englisch gesprochen, aber das ließ sich nicht immer durchhalten. Vor allem, wenn es galt, heulende Kleinkinder auf Chinesisch oder Deutsch zu trösten, waren Inges Sprachkenntnisse gefragt.
Inge fühlte sich wohl als Kindergartentante. Die Zeit im »Kindergarten« der Kadoori-Schule war die glücklichste ihres Schanghaier Schullebens gewesen. Und jetzt durfte sie den ganzen Tag mit den Kleinen spielen und bekam sogar noch Geld dafür. Es war ihr nicht schwergefallen, sich bei Frau van Gaal unentbehrlich zu machen, ein erster wichtiger Schritt in ihrer Zukunftsplanung.
Auch den nächsten Schritt hatte sie bereits in die Wege geleitet. Sie hatte in Erfahrung gebracht, dass man an der Language School der St. John’s University Chinesisch lernen konnte. Das war genau, was sie wollte, noch dazu dieselbe Uni, an der Sanmao studierte. Sie war im vorigen Jahrhundert von anglikanischen Geistlichen gegründet worden, und ihre altehrwürdigen Backsteingebäude lagen, umgeben von einer weitläufigen Parkanlage, im engen Knie des Soochow Creek. Man hatte beinahe das Gefühl, auf einer Insel zu sein, auf einer Insel der Ruhe und Gelehrsamkeit. Von Hongkou war es ein weiter Weg Richtung Nordwesten, selbst mit dem Fahrrad, von den Fiedlers jedoch nur die halbe Strecke. Inge nahm das als gutes Omen. Jetzt konnte sie nur noch hoffen, dass sich auch der andere Teil ihres Plans wunschgemäß erfüllen würde.
Den Mut, die Fiedlers oder Sanmao einzuweihen,hatte sie bislang noch nicht aufgebracht. Doch der Schulabschluss rückte unaufhaltsam näher, und niemand konnte absehen, wann die
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