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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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Plötzlich tat sich eine völlig neue Welt vor ihr auf: flaches, unbebautes Land, durchzogen von Wasserläufen und Kanälen, kleine Weiler mit strohgedeckten Häusern, Bauern, die ihre Gemüsefelder bestellten. Inge hatte sich Schanghai vom Wasser her genähert, ihr Schiff hatte an der imposanten Kulisse des Bund angedockt, die wie eine Fata Morgana hinter der Flussbiegung aufgetaucht war. Über das Hinterland dieser Stadt hatte sie sich nie Gedanken gemacht, es lag außerhalb ihrer Reichweite.
    Sie rasten über verlassene Landstraßen, und zwar rechts! Mit den Japanern war auch der Linksverkehr verschwunden. Inge sah das durchaus symbolisch: Ihr Leben war wieder zurechtgerückt. Sie genoss es, sich den Fahrtwind ins Gesicht wehen und den Blick schweifen zu lassen; das war Freiheit, die man körperlich spürte.
    »Schau mal, da vorne!« Inge deutete auf eine vielstöckige, filigrane Pagode, die sich wie ein mahnender Zeigefinger über den weiten Horizont erhob.
    »Die gehört zum Tempel. Ein Wunder, dass sie überhaupt noch steht. Die Japaner hatten da oben ein Flakgeschütz installiert. Ganz in der Nähe war ein großes Internierungslager, wo fast zweitausend Ausländer festgehalten wurden. Das haben die extra gemacht, weil gleich nebenan der Militärflugplatz lag, von dem viele japanische Bomber gestartet sind. Die haben natürlich drauf spekuliert, dass die Amis ihre Landsleute verschonen würden.«
    »Und wir? Um uns haben sich weder Amis noch Japaner geschert!« Inge konnte sich jedes Mal ereifern, wenn sie das Gerücht wiederholte, das in Hongkou kursierte. »Hast du gewusst, dass sie es bei der Bombardierung im Juli auf einen japanischen Radiosender und ein Munitionslager abgesehen hatten? Das Depot befand sich im Ward Road Gefängnis, gleich bei uns um die Ecke. Alles bestens getarnt durch staatenloses Menschenmaterial«, erzählte sie verbittert. »Wir saßen praktisch auf dem Pulverfass.«
    »Sind wir froh, dass wir nicht damit hochgegangen sind«, erwiderte Max unbekümmert. Auf seine neuen Arbeitgeber ließ er nichts kommen. »Da drüben können wir parken und uns den Tempel ansehen, oder was davon noch übrig ist.«
    Nachdem sie den Jeep abgestellt hatten, betraten sie die ummauerte Anlage durch ein großes Eingangstor. Die typischen Tempelwächter, von denen einer besonders weit sehen, der andere besonders gut hören kann, waren schwer mitgenommen; an vielen Stellen schaute das hölzerne Innenleben der Figuren hervor. Dennoch war es ihren grimmigen Fratzen offenbar gelungen, den Tempel vor der völligen Zerstörung zu bewahren.
    »Die haben sowohl die japanischen wie die rothaarigen Teufel abgeschreckt«, bemerkte Inge, während sie sich die Figuren ansah.
    Max sah sie fragend an. »Meinst du mich?«
    »Nein, das ist nur ein chinesischer Ausdruck für Ausländer«, erklärte Inge. Mit Max’ Chinesisch war es noch immer nicht weit her, aber er schlug sich so durch; handeln konnte er wie ein Weltmeister.
    Ein Innenhof fügte sich an den nächsten, und die aufeinander folgenden Tempelhallen übertrafen sich in immer kühner aufgewölbten Dachkonstruktionen. Trotz der Kriegsschäden regte sich schon wieder religiöses Leben; Menschen in zerlumpter, bäuerlicher Kleidung, offenbar Anwohner der umliegenden Weiler, entzündeten Räucherstäbchen und verbrannten Totengeld für ihre verstorbenen Angehörigen. Nach so einem Krieg muss ganz schön viel Geld überwiesen werden ins Totenreich, dachte Inge beklommen. Hoffentlich haben sie’s dort wenigstens ein bisschen besser als im irdischen Leben. Sofort waren die Bilder aus der Wochenschau wieder da.
    »Ich muss mal kurz was erledigen«, ließ sie Max wissen und kaufte einem alten Weiblein einige Bündel Totengeld ab. Auch wenn Sanmao ihr erklärt hatte, dass man beim Verbrennen fest an einen bestimmten Empfänger denken musste, hoffte sie, dass es vielleicht auch mit einer Sammeladresse funktionieren würde. Inge war klar, dass so viel Totengeld gar nicht gedruckt werden konnte, wie dort gebraucht würde. Es konnte nur eine Anzahlung sein, die sie zugleich als Dank dafür verstand, dass ihre Familie davongekommen war. Vielleicht ließen sich die schrecklichen Bilder, die sie nicht mehr losließen, auf diese Weise bannen.
    Max fragte nicht. Das war das Gute an Max, im Geschäftsleben hatte er Diskretion gelernt. Außerdem ging er Dingen, die mit dem Tod zu tun hatten, aus dem Weg. Sollte Inge doch ihren chinesischen Hokuspokus machen, die war ohnehin schon eine

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