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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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Vergessen waren die Pflichten und Erledigungen in der Welt da draußen. Nachdem die Nonne die gemeinsam zusammengefegten Blätter auf ein Kehrblech geschoben und ihren Besen ordentlich in die Ecke gestellt hatte, tat Inge es ihr nach undbedankte sich mit aneinandergelegten Handflächen und einem »
xièxie «
. Mit derselben Geste verabschiedete sie sich vom Hausherrn, dem freundlichen goldenen Buddha in der Tempelhalle.
    »
Zài lái ba
!«   –
Komm wieder
–, hatte die schweigsame Nonne ihr lächelnd nachgerufen.
    Und Inge war wiedergekommen   – immer dann, wenn sie den Lärm, die Menschenmassen und die Enge nicht mehr aushielt, wenn sie meinte, die erzwungene Nähe zu den Eltern und Nachbarn keinen Moment länger ertragen zu können und selbst das winzige Quadrat des Dachgartens ihr nicht mehr genügend Freiraum bot. Sie hatte herausgefunden, dass sie nur an das in die Mauer eingelassene Fensterchen zu klopfen brauchte. Mit etwas Glück öffnete es sich dann, und eine der Nonnen streckte den Kopf heraus. »
Wǒ lái sǎo dì
.«   –
Ich komme zum Fegen
– erklärte Inge und erhielt Einlass. Mehr bedurfte es nicht, um endlich Platz und Ruhe zu haben.
     
    Heute türmten sich schwarze Regenwolken hinter dem Tempeldach. Schon in der Nacht hatte heftiger Wind eingesetzt, ein Taifun war im Anzug. Es war nicht der erste, den Inge in Schanghai erlebte, aber es war ihr erster in Hongkou. Hier wären sie den Naturgewalten wesentlich mehr ausgeliefert als im geschützten Hinterhof des »Café Federal«. Bei Inges morgendlichem Gang zum Honigeimer ließ der Sturm den dünnen, halbhohen Bretterverschlag erbeben und zerrte auf dem kurzen Weg zurück zur Treppe an ihren Zöpfen.
    »Inge, geh doch bitte zu Opa Hong und hol unsnoch mehr heißes Wasser. Wir müssen vorsorgen, wenn der Taifun kommt«, rief die Mutter, als sie Inge die Stufen herunterkommen hörte.
    »Mach ich gleich. Heute fällt bestimmt die Schule aus.«
    »Bist du sicher?«, hakte Frau Finkelstein nach.
    »Ganz sicher«, erwiderte Inge mit Bestimmtheit. »Das ist immer so bei Taifun.« Damit war die Sache erledigt.
    Bei Opa Hong war deutlich mehr los als sonst. Jeder wollte vorbereitet sein, falls er später nicht mehr aus dem Haus könnte oder kein sauberes Trinkwasser mehr verfügbar wäre. Inge musste anstehen und sah Opa Hong zu, wie er mit nacktem Oberkörper in der Septemberhitze schwitzend die Schöpfkelle schwang, während einer seiner Enkel den glühenden Herd fütterte.
    Als sie mit den beiden randvollen Kannen vor die Tür trat, jagten erste Regenschauer durch die Straße. Hausfrauen hasteten mit vollen Netzen vom Markt nach Hause; die Versorgung mit frischem Gemüse würde durch den Taifun unterbrochen sein, und die Preise stiegen dann ins Astronomische. Eine unzeitgemäße Dämmerung hatte sich über die Stadt gesenkt; durch die dicken Wolken und dichten Regenschleier drang kaum Licht. In den Rinnsteinen bildeten sich Sturzbäche   – Schifffahrtswege für den herumliegenden Unrat. Eine Kanalisation, die das alles hätte aufnehmen können, gab es in Hongkou nicht. Bald würde die Straße sich in einen reißenden Strom verwandeln. Die Ladenschilder und Wimpelder Geschäfte waren der Willkür des Windes schutzlos ausgeliefert; alles, was nicht niet- und nagelfest war, konnte zum gefährlichen Flugobjekt werden. Fahrräder fielen um wie Dominosteine, Regenschirme erwiesen sich als nutzlos, da die kraftvollen Böen kurzen Prozess mit ihnen machten oder sie dem Besitzer entrissen. Jetzt aber los! Inge krempelte sich die Hosen auf, klemmte ihre Holzschlappen unter den Arm und watete barfuß nach Hause.
    »Du musst dir sofort die Füße waschen. Wer weiß, was da alles unterwegs ist«, begrüßte Frau Finkelstein ihre klitschnasse Tochter. Bei Taifun verschärfte sie die ohnehin strengen Hygienemaßnahmen. Sie goss Wasser   – natürlich nicht das kostbare warme, sondern kaltes aus einem Eimer neben dem Treppenabsatz   – in eine Emailschüssel und gab ein paar Körnchen ihres Allzweckmittels Kaliumpermanganat dazu. Inge senkte die Füße hinein; wenn sie mit den Zehen wackelte, lösten sich die Kristalle in malerisch violette Wolken auf.
    Sogar Laifu hatte sich von Wind und Wasser den Schneid abkaufen lassen und verzichtete heute auf seinen Erkundungsgang. Zusammengerollt lag er auf Inges Schoß, ließ sich hinter den Ohren kraulen und schnurrte furchtlos gegen den Sturm an, der draußen tobte. Durch den grauen Wasservorhang konnte Inge

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