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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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die Wahl des Treffpunkts ein. Hier konnten sie Würstchen essen und gleichzeitig das Rad im Auge behalten, von dem Inge sich für keinen Bienenstich der Welt getrennt hätte.
    »Nimmst du mit Senf oder Meerrettich?«, wollte Max wissen, der sich bereits in die Schlange am Stand eingereiht hatte. »Das muss doch gefeiert werden.«
    »Mit Senf bitte.« Inge wollte ihrem Rad gar nicht von der Seite weichen. Welche Möglichkeiten es ihr eröffnen würde! Ein Ruf von Max riss sie aus ihrer Träumerei: »Jetzt komm scho, sonst werdet die Würschtle kalt.«
    Sobald Max ins Schwäbische fiel, sah Inge nicht mehr den gewieften Geschäftsmann vor sich, sondern den kleinen Buben vom Schiff. Es war gut, jemanden wie Max zum Freund zu haben.
    ***
    Die Eltern Finkelstein hatten ganz schön verblüfft geschaut, als Inge das Fahrrad die Treppe heraufschleppte und es auf dem Treppenabsatz parkte. (Den Wang-Kindern war nicht zu trauen.) Anfängliche Bedenken wegen der Gefährlichkeit des Straßenverkehrs konnte sie zerstreuen, indem sie der Mutter anbot, Änderungsaufträge aus dem »Café Federal« hin- und herzutransportieren, außerdem ein hervorragender Grund, öfter mal bei den Fiedlers vorbeizuschauen. So profitierte auch Frau Finkelsteins Geschäft von Inges neuer Mobilität. Die Mutter war froh um jeden Auftrag.
    Herr Finkelstein war bei seiner Arbeitssuche ebenfalls erfolgreich gewesen   – sofern man das Erfolg nennen konnte: Im »Delikat«, dem Wiener Caféhaus in der Chusan Road, würde man ihn, wenn auch nur stundenweise, als Aushilfe für die Backstube brauchen können. Hier im Ghetto, wo notgedrungen viele qualifizierte Arbeitskräfte auf engstem Raum zusammengepfercht waren, konnten die Arbeitgeber wählerisch sein und einen Brandenburger Konditormeister als Aushilfe einstellen.
    »Besser, als untätig zu Hause rumsitzen«, versicherte er tapfer. Inge hatte den Eindruck, als tröste er damit vor allem sich selbst. Immerhin hatten wenige Monate nach dem Umzug sämtliche Finkelsteins eine Erwerbsquelle aufgetan, das konnten nur wenige Emigranten von sich behaupten.
    Dann schlug der Vater zu ihrer Verwunderung eine Partie »Mensch-ärgere-dich-nicht!« vor; die Initiative zum Spielen ging nur selten von ihm aus. Währenddie drei ihre Männchen aufstellten, hatte Inge das Gefühl, auch sie seien jetzt neu aufgestellt. Zum ersten Mal seit der Zwangsumsiedelung nach Hongkou haderte sie nicht mehr mit ihrem Los.
     
    Am nächsten Morgen fuhr sie gleich mit dem Rad zur Schule, dann würde sie später nicht noch einmal durch die Sperre mit den japanischen Wachtposten müssen. Seit die Japaner ganz Schanghai beherrschten, mussten sich nicht nur Chinesen, sondern auch Westler vor den Stellvertretern des Tenno   – des japanischen Kaisers   – verneigen. Und von ihrem Rad absteigen würde sie auch müssen.
    Die Shanghai Jewish Youth Association School befand sich seit Januar 1942 in einem schönen, hufeisenförmigen Neubau aus hellen einstöckigen Gebäuden. Deswegen ging Inge aber auch nicht lieber zur Schule als früher, sie war und blieb dort eine Außenseiterin und versuchte schon lange nicht mehr, etwas daran zu ändern.
    Um bei den Klassenkameraden keine neugierigen Fragen zu provozieren, hatte sie ihr Rad, wie Max es ihr geraten hatte, etwas entfernt vom Schulgebäude an einen Baum gekettet. Dem Unterricht folgte sie an diesem Vormittag nur mit halbem Ohr; statt an Mathe, Hebräisch, Deutscher Aufsatz (da hatte man wenigstens seine Ruhe) und Geographie (das war wichtig wegen der Kriegsberichterstattung), dachte sie ständig nur an ihr Rad. Hoffentlich stand es nachher noch da! Sie stellte sich vor, was Sanmao wohl sagen würde, wenn sie damit durch die Toreinfahrt käme? BeimEinholen der Flagge auf dem Sportplatz   – dem Abschluss eines jeden Schultags   – konnte sie kaum noch still stehen. Endlich durften die Schüler abtreten.
    Inge rannte aus dem Schulhof und um die nächste Straßenecke. Gott sei Dank, das Rad war da und alles noch dran! Sie schloss das Vorhängeschloss auf und verstaute den Schlüssel vorsichtig in ihrem Brustbeutel, in dem auch die beglaubigte Abschrift des mütterlichen Passes, Inges Impfbescheinigung sowie Geld und der Zettel für die Besorgung der Farbbänder steckten. Jetzt konnte es losgehen   – insgeheim war Inge froh, dass es nicht gleich zu Anfang um die Leberwurst ging.
    Mit dem Linksverkehr war sie längst vertraut und wandte den Kopf beim Überqueren der Straße automatisch

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