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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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pflügten wie Lastkähne durch die Fluten, damit wenigstens ihre Fahrgäste, die mit angezogenen Knien auf der Sitzbank hockten, trockenen Fußes an ihr Ziel kamen.
    In den Straßen häufte sich der angeschwemmteMüll. Inmitten dieses unappetitlichen Durcheinanders entdeckte sie eines jener in Bambusmatten verschnürten Bündel. Inge wusste sehr wohl, dass sie tote Babys enthielten, Mädchen zumeist, die ihre verzweifelten Eltern nicht länger ernähren, aber auch nicht ordentlich bestatten konnten. Darüber dachte man am besten nicht weiter nach, sondern machte einen Bogen um die Bündel, die irgendwann auf offenen Wagen von der Stadtreinigung abtransportiert wurden. Dieses jedoch gab Töne von sich: ein leises Wimmern, unterbrochen von verzweiflungsvollem Schluckauf.
    Sanmao hatte Inge in Bezug auf Laifu eingeschärft, dass man für ein Lebewesen, dessen man sich annahm, dauerhaft Verantwortung übernehmen musste. War das vielleicht der Grund, warum so viele Chinesen wegschauten, wenn sie solche Bündel am Straßenrand liegen sahen? Wer sich Buddhas Ratschluss in den Weg stellte, musste selbst zum Erlöser werden. Doch das konnte sich in Zeiten des Überlebenskampfes kaum jemand erlauben.
    Inge ging vorsichtig näher und schob einen Zipfel der Matte beiseite: Ein üppiger dunkler Haarschopf über einem verschrumpelten Gesichtchen, ein winziger, in Lumpen gewickelter Körper, der vom nächsten Hickser erschüttert wurde. Als das Beben vorüber war, öffneten sich die schmalen Augenschlitze; schwarze Augen unter langen Wimpern blickten ins Leere, versuchten das über ihnen schwebende Gesicht zu fixieren, aber das gelang noch nicht. Inge hielt den Atem an, der Säugling konnte nicht älter als ein paar Tage sein. In dem Moment schlossen sich mit erstaunlicherKraft fünf klitzekleine Finger um den Zeigefinger, der die Matte zurückbog.
    Inge wurde von einer Welle warmer Zuneigung und gleichzeitig von Panik erfasst. Was tun? Das Kind in seinen Lumpenwindeln war völlig durchnässt, ob von außen oder innen, blieb unklar. Zum Glück war es warm. War es wie der kleine Moses angeschwemmt oder am Fuß dieser Mauer abgelegt worden? Doch ganz gleich wie es hergekommen war, es musste hier weg, und
zwar schnell. Vorsichtig nahm Inge das Bündel auf . »

bú yào pà
. «   –
hab keine Angst
–, beruhigte sie das fremde Wesen, obwohl es diesem vermutlich gleichgültig war, in welcher Sprache man es anredete.
    Sie befand sich unweit der Kreuzung Chusan   – Kunming Road. Vor ihr dräute das riesige Gefängnis. Nein, die Staatsgewalt   – ganz gleich ob die der Besatzer oder der Besetzten   – wäre nicht die richtige Adresse. Auch ein Krankenhaus nicht, denn soweit Inge sehen konnte, war das Kindlein nicht krank. Hier war Buddha persönlich zuständig, oder besser noch Guanyin, die Göttin der Barmherzigkeit, die doch so viele Arme zum Helfen hatte. Inge schlug den Weg in die Kunming Road ein, der Tempel lag nur wenige Schritte entfernt. Wie gewohnt klopfte sie an das Fensterchen in der Tempelmauer. Unwillkürlich hielt sie das Bündel fest an sich gedrückt, sodass die Nonne es von drinnen nicht sehen konnte. War sie erst einmal drin, so konnte man sie nicht mehr wegschicken.
    »
Wǒ lái sǎo dì
«, meldete sie sich wie gewohnt, auch wenn sie heute nicht zum Fegen kam.
    Im Vorhof hielt sie sich rechts und steuerte auf denSeitenflügel zu, in dem die vielarmige Göttin der Barmherzigkeit ihren Schrein hatte. Sie wollte zur Himmelsmutter Guanyin. Die würde sich des Kindleins schon annehmen.
    Vorsichtig legte sie das Bündel auf ein Bänkchen, auf dem sonst die Betenden knieten, sie selbst kniete sich auf den harten Steinboden. Zum ersten Mal sah sie der Göttin in ihr gütiges weißes Marmorgesicht. »Du musst ihm helfen, hörst du.« Vor lauter Dringlichkeit und Nachdruck vergaß Inge, die Göttin chinesisch anzusprechen. »Ich kann es unmöglich mit nach Hause nehmen. Also mach, dass die Nonnen es behalten und sich drum kümmern.« Ihr flehentlicher Blick brannte den Gedanken in die weichen Züge des Göttergesichts. »Ich danke Dir, Himmelsmutter,
xièxie nín
.« Sicherheitshalber wählte sie diesmal die förmliche Anredeform.
    Dann strich sie ein letztes Mal über den seidigen schwarzen Haarschopf, ging in den Hof hinaus und schnappte sich einen Besen. Niemand beachtete sie. Die Nonnen besprachen aufgeregt das Ausmaß der Sturmschäden und deren Reparatur. Auch im Hof gab es heute viel zu tun. Der Sturm hatte

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