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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hornfeck
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zur richtigen Seite. Doch auf einer belebten Kreuzung mit dem Fahrrad in die »falsche« Richtung abzubiegen, war eine andere Sache, es erforderte Mut und Überwindung. Zum Glück ging es auf Schanghais Straßen niemals rasch voran, sodass sie sich langsam an den verkehrten Verkehr gewöhnen konnte. Bei der Steigung an der Brücke stieg sie ab und schob. Die Garden Bridge markierte längst nicht mehr den Übergang in die Internationale Konzession; England und die Vereinigten Staaten hatten ihre exterritorialen Rechte bereits im vergangenen Jahr offiziell abgetreten. Dennoch empfand Inge die gewohnte Erleichterung, als sie das Rad auf der anderen Seite hinunterrollen ließ   – die einzige Schussfahrt im ganzen brettebenen Schanghai. Vielleicht war es ja auch der weite Blick über den Fluss, der frische Wind vom Meer, dievertraute Kulisse des Bund oder die Vorfreude auf das Wiedersehen, die sie aufatmen ließen.
    Inge fuhr nicht durch die belebte Nanking Road, sondern bog gleich am Deutschen Konsulat in die weniger befahrene Peking Road ein, die sie direkt zum Schreibmaschinengeschäft an der Ecke Gordon Road brachte. Die Besorgung für Max war schnell erledigt, und nun radelte Inge mit klopfendem Herzen ihren alten Schulweg entlang Richtung »Café Federal«.
    Frühlingserwachen war die Erste, die sie im Hof traf. Misstrauisch musterte sie den Eindringling.
    »Ying’ge, ist das du?«, fragte sie dann und legte prüfend den Kopf schief.
    Um nicht durch wehende blonde Zöpfe unnötig Aufmerksamkeit zu erregen, hatte Inge beim Radfahren eine Kappe aufgesetzt. Die riss sie sich nun vom Kopf und fiel ihrer
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lachend in die Arme. Dann sprudelte sie sämtliche Neuigkeiten der ereignisreichen letzten Wochen hervor. »Du kannst Mamas Zettel wegen der Änderungen wieder im Café aushängen«, schloss sie ihren Bericht. »Ich komme jetzt nämlich öfter.«
    »Alter Himmel sei Dank, ihr habt Wohnung und Arbeit.«
    Inge wollte eben nach Sanmao fragen, als er, die Schultasche über der Schulter, durch die Hofeinfahrt kam. Ihm konnte sie nicht so einfach um den Hals fallen, auch wenn sie das am liebsten getan hätte. Also besann sie sich auf die alte Rollenverteilung und meldete sich als Schülerin bei ihrem Lehrer zurück: »
Lǎo shī, hǎo. Xuésheng láile.
«
    Sanmao starrte erst sie, dann das Rad an und war soverblüfft, dass er prompt aus der Rolle fiel: »Wie hast du das geschafft, Entenkopf?«
    Meinte er das Fahrrad oder die Tatsache, dass sie endlich wieder leibhaftig vor ihm stand? Inge zuckte mit den Schultern und bemerkte leichthin:
»Guānxi.«
Was genau das für Beziehungen waren, führte sie nicht aus.
    Um die Verlegenheit zu überspielen, die unter dem mütterlich forschenden Blick von Frühlingserwachen zwischen ihnen entstand, nahm Inge automatisch Kampfhaltung an. Sanmao reagierte sofort mit ein paar fingierten Angriffen, die Inge prompt parierte.
    »Ganz schön schlagfertig, unsere Musterhafte Person«, kommentierte Sanmao, jetzt wieder ganz Lehrer.
    »Und nicht gefallen auf Mund«, fügte seine Mutter mit verschmitztem Lächeln hinzu. »Ich gehe sehen, ob Vater hat Bienenstich fertig.« Damit verschwand sie in die Backstube.
    Kaum war Frühlingserwachen weg, ließen die beiden von ihrem Schaukampf ab.
    »Wie geht’s denn bei euch da drüben?«, erkundigte sich Sanmao.
    »Na ja, ziemlich eng im Vergleich zu hier. Außerdem kann der ›Mund des Regenbogens‹ ziemlichen Mundgeruch entwickeln. Kannst ja mal vorbeischauen.« Inge fand, dass er das längst hätte tun können.
    »Das wollte ich schon«, erwiderte Sanmao, der den leisen Vorwurf sofort heraushörte, »aber so einfach ist das nicht. Ich brauche einen triftigen Grund, um an den japanischen Posten vorbei in die ›Designated Area‹ zu kommen.«
    Inge war überzeugt, »ein triftiger Grund« zu sein, wenn nicht für die Japaner, so doch für Sanmao. Da hätte er sich nun wirklich was einfallen lassen können. Doch sie ließ es auf sich beruhen. »Und bei dir? Wie geht’s in der Schule?«
    »Ziemlich heftig. Wir schreiben gerade die Abschlussarbeiten, in drei Wochen ist alles vorbei«, antwortete er; etwas anderes schien ihn jedoch viel mehr zu interessieren. »Jetzt mal ehrlich. Wo hast du das Rad her?« Sanmao wusste natürlich genau, wie gefragt und teuer solche Fortbewegungsmittel waren.
    »Hab einen alten Bekannten vom Schiff wiedergetroffen, ein Geschäftsmann mit guten Verbindungen. Wir haben jetzt eine Geschäftsbeziehung: Er hat mir das

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