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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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irritierenderweise aber auch mathematische Fachbücher wie Malcolm Lines A Number for Your Thoughts und Max Bertens Anregungen zur Umkehrung Nicolaischer Vergleiche . Über den Raum verteilt sah man Tischuhren, Glaskugeln, Vitrinenobjekte jenseits der Vitrinen, Stickereien. Auf einem Stoß Telefonbücher leuchtete ein Globus, auf dem der Pazifische Ozean auch Stiller hieß. Am Tisch Essensreste, Hühnerknochen auf Aluminium, eine Terrine von einem Aschenbecher. Auf den Sesseln Kleidungsstücke, die Liepolds Hang zum Gewagten verrieten. Die Socken am Boden schienen männlicher Provenienz zu sein. Eine Schar von Trachtenpuppen bevölkerte die Sitzbank, auf die Ingrid Liepold ihren Gast zwang. Sie bat ihn, sich ein wenig zu gedulden, sie müsse den Kaffee wärmen, wolle sich auch umziehen. Sie stellte ihm eine Packung Hustenbonbons auf den Tisch und tänzelte aus dem Raum. Er war nicht verkühlt, griff nach einem Magazin, ließ es dann aber liegen, denn die Spekulation über eine bestimmte Unterleibserkrankung oder auch nur Schwangerschaft einer prominenten Dame interessierte ihn nicht, nahm statt dessen die Fernbedienung und schaltete das TV -Gerät an. Irgendwo Sommer. Die Übertragung zeigte zwei junge, schlanke Männer, deren lange Beine aus kurzen Hosen ragten und die aus den Taschen dieser Hosen billardkugelgroße, fluoreszierende Bälle zogen, die meiste Zeit aber auf ein zwischen sie gespanntes Netz starrten. Während der zahlreichen Unterbrechungen saßen sie im Schatten großer Schirme und fingen mittels weißer Frotteetücher ihren Schweiß ein, während im Hintergrund Heineken mit nichts anderem als seinem Namen warb. Es war lange her, daß Vavra Tennis gespielt hatte. Der Anblick der Berufsspieler ärgerte ihn. Was taten sie schon Großartiges, daß ihnen derart viel Aufmerksamkeit zuteil wurde? Bloß weil sie sich mit der Zunge über die Oberlippe fuhren, den Schiedsrichter beleidigten, in der Sonne umherliefen, Mineralwasser tranken. Verwöhnte Buben, die auf ihre gereizte Knochenhaut stolz waren und die einen Ball, ein Bällchen, über das Netz schlugen oder auch nicht. – Vavra sah den hochgewachsenen Bengels zu, gelangweilt, aber er sah ihnen zu.
    Ingrid Liepold trug noch immer ihren Kimono, als sie nun ein Tablett mit zwei Tassen auf den Tisch stellte. Ohne sich zuvor nach Vavras Bedürfnissen erkundigt zu haben, drehte sie den Fernseher ab und legte statt dessen eine Platte auf. Fernsehen konnte der Mann woanders. Sie hatte ihre Lippen frisch bestrichen, und was auch immer sie jetzt unter dem Kimono trug, es war rot, und es war kein Trainingsanzug. Die rauhe Stimme der Sängerin dickte die Luft ein. Vavra wollte flüchten, stammelte etwas bezüglich eines Termins.
    »Termine«, wiederholte Frau Liepold verächtlich. Und dann sagte sie: »Nein«, stellte die Musik etwas lauter, postierte sich in der Mitte des Raumes unter einem papierenen, faltigen Lüster, breitbeinig, die Hände befehlshaberisch in die Hüften gestützt, mit dem Rücken zu ihrem Gast, ihrem Publikum. Die Naht der roten Strümpfe schien übergangslos in die Stilettabsätze überzugehen. Vavra dachte an winzige, dünne Beinstümpfe, die im Boden steckten.
    Eine Minute lang bewegte sich Frau Liepold kaum, ließ bloß den Kopf von einer Seite zur anderen pendeln, so daß das mittellange Haar wellenartig mitschwang. Dann begann sie, im Rhythmus der Musik ihre Hüften zu bewegen und mit kleinen Schritten die Tanzfläche auszuweiten, ohne sich aber zu ihrem Gast zu drehen.
    Steh einfach auf und geh, sagte sich Vavra, der Hausfrauen verachtete, und ganz speziell deren erotische Anstrengungen, die er als ein höchst mißlungenes Zitat verfilmter Lockgebärden empfand, während er seinem eigenen Treiben, womit jenes beharrliche Schweigen gemeint war, Originalität zuschrieb.
    Aber er stand nicht auf, schlürfte den Kaffee, gegen welchen nichts einzuwenden war, betrachtete den Lampenschirm, auf dem die verklärten und von goldenen Strahlenkränzen umgebenen Gesichter bekannter Bischöfe der Achtundsechziger-Revolte aufgedruckt waren, konzentrierte sich dann aber doch auf Frau Liepold, die nun ihren Gürtel öffnete, den Kragen des Kimonos hinter die Schulter schob und den Kopf zurückwarf, so daß nun auch ihr Mittelscheitel und ihr Nasenrücken eine Linie bildeten. Und indem sie sich schüttelte, glitt das Gewand von ihrem Körper, der jetzt nur noch von einer aus Büstenhalter, einem kaum sichtbaren Höschen, Strapsen und Strümpfen

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