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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Statt dessen faßte er sich an die Knie. Dreh jetzt bloß nicht durch, alter Junge, das wollen die doch. Was wäre denn gewonnen, sich an einem Croissant, an einem Lukas zu vergehen.
    Er beruhigte sich. Vavra verspeiste die Blätterteigkonstruktion. Und ließ es sich also doch noch schmecken.
    Grisebachs Besuch blieb einmalig. Andererseits wurden die Verhöre eingestellt. Was Vavra verwirrte, da er sicher gewesen war, daß man ihn nun erst recht bearbeiten, ihm seine Taubenhof-Lüge übelnehmen würde. Vielleicht aber versuchte man, irgendeine Falle aufzubauen. Eine Falle, in die er nicht gehen würde, weil er nicht gehen konnte, eben weil er unschuldig war.
    Vavra wurde nur noch abgeholt, wenn es unter die Dusche ging. Man brachte ihm ein Schachspiel, nach dem er nicht verlangt hatte, dazu Schachbücher. Er belächelte diesen platten, bildungsbürgerlichen Hinweis, begann dennoch zu spielen, allerdings nicht klassisches Schach, sondern, wenn man so will, Free Chess, indem er etwa seinen Bauern ungeheuerliche Freiheiten einräumte. Alltag stellte sich ein. Er durfte sich selbst rasieren. Die Rasierklingen waren neu. Niemand schien es zu stören, hätte er sich umgebracht. Die Zeit kroch unmerklich vorbei. Manchmal hörte er Gesang. Ein Sonntag, vermutete er. An irgendeinem Vormittag, an dem nicht gesungen wurde, kamen sie. Nicht die üblichen grobschlächtigen Typen in ihren weißen Unterhemden, sondern zwei Streifenpolizisten, ziemlich jung – Hänsel und Gretel, dachte Vavra. Auf ihn wirkten sie zurückgeblieben, wie sie dastanden, die Kappen in den Händen, und auf ihn hinunterschauten wie auf ein Stück strahlendes Material.
    »Und?« fragte er, bereits im Ton der hochmütigen Gleichgültigkeit eines Menschen, den ein paar Schläge nicht mehr aus der Fassung bringen konnten.
    »Mitkommen«, sagte Gretel mit gespielter Strenge. Sie zupfte nervös an ihren Haaren, die steif, gespalten und gefärbt ihr rundes Gesicht leidlich dämmten.
    Vavra drehte sich zur Seite und schloß die Augen, überlegte, warum man ihm diese beiden Kinder geschickt hatte. Er mußte wohl aufstehen, um das herauszufinden. Ließ Hänsel noch ein paar dünnhäutige Drohungen vor sich hin murmeln, erhob sich schließlich, richtete seinen Anzug und sagte in Richtung Tür: »Wenn ich Ihnen eine Freude machen kann.«
    Die beiden führten den Häftling ohne Umstände aus dem Gebäude hinaus und setzten ihn in einen Wagen. Vavra war erstaunt über die Unachtsamkeit, mit der er befördert wurde. Gleich zu Anfang hatte er festgestellt, daß die Wagentür zu seiner Seite unverschlossen war. Er saß allein auf dem Rücksitz des Polizeiwagens. Hänsel fuhr in mäßigem Tempo dahin und unterhielt sich mit Gretel über Schußwaffen, als ginge es um die Frage, welche Kleidung zu welchen Anlässen passe. Auf der Floridsdorfer Brücke gerieten sie in einen Stau. Vavra hätte die Tür öffnen, aus dem Wagen und in die eiskalte Donau springen können, um vielleicht in den Tod zu entkommen, vielleicht auch in die Brigittenau. Aber warum sollte er? Seine Unschuld würde sich schon noch herausstellen, trotz dieses Anwalts, trotz der dunklen Mächte, die es verstanden, ihm eine Warnung in Form eines Lukascroissants zukommen zu lassen.
    Vavra fand, daß Hänsel, egal wo das Ziel lag, recht umständlich fuhr, als wollte er Zeit schinden. Vielleicht wollte er das auch. Als Vavra die beiden Flaktürme sah, fürchtete er, erneut ins Allgemeine Krankenhaus gebracht zu werden. Aber sie passierten den gespaltenen Koloß und näherten sich über kleine Gassen der Stadthalle, der sie dann auswichen, um hinauf zum Wilhelminenspital zu fahren. Dort parkte Hänsel. Also doch wieder ein Krankenhaus. Allerdings wurde Vavra angewiesen, sitzen zu bleiben. Hänsel und Gretel verließen den Wagen und gesellten sich zu einem Mann, der vor dem Eingang stand, einer von der Art, als sei er mit heruntergezogenen Mundwinkeln und den Händen in den Manteltaschen auf die Welt gekommen. Sein Wollmantel wies einen klassischen Schnitt auf, war jedoch von durchaus gewagter Farbgebung, Zitronengelb, und das mitten im Winter. Er rauchte freihändig, wobei ihm die beiden Polizisten mit Respekt zusahen, als führe er ein kleines Kunststück vor. Anschließend spuckte er die Kippe aus und sprach, wie man eben mit solchen Mundwinkeln sprechen kann. Ein Fischmaul, fand Vavra. Nachdem er geendet hatte, salutierten Hänsel und Gretel, was dem Mann in Gelb ein Lächeln abrang. Er steckte sich eine neue

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