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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Scharfrichterin.
    »Ein Gast?« fragte sie.
    »Ja, Mama. Herr Vavra, unser ehemaliger Nachbar. Du weißt schon.«
    »Ach, Sie armer Mensch. Das war ja eine fürchterliche Geschichte. Nächtelang hab’ ich gezittert, sag’ ich Ihnen. Man könnt’ seinen Glauben verlieren. Diese Polen! Ein schrecklicher Menschenschlag. Der Papst, von mir aus, die paar Kardinäle, gut, doch diese Leute, schrecklich. Aber katholisch sein, daß selbst einem Österreicher schwindlig wird. Denen kommt das Katholische ja schon bei den Ohrwascheln raus. Rennen jeden Tag zum Gottesdienst. Und kaum sind sie aus der Kirche draußen, werden sie kriminell. Und sind dann auch noch unersättlich, wie beim Beten. Würden die sich bloß damit begnügen, Falschgeld zu drucken, Prostitution zu treiben, Autos zu stehlen – aber mitten in der Nacht in eine Wohnung eindringen, einen unschuldigen Menschen malträtieren, die Einrichtung zertrümmern, alles bloß wegen einer lächerlichen Spielschuld? Können wir denn im eigenen Land keine Spielschulden mehr machen, ohne daß uns die Polen das Messer an den Hals setzen? Sind wir denn in Krakau? Und mir ist ja völlig gleichgültig, was das für ein Spiel gewesen ist, mein lieber Herr Vavra. Ich bin eine alte Frau und hab’ mehr Spielkarten in der Hand gehabt als diese ganzen Rotzbuben, die heutzutage in den Casinos herumhocken. Ich gehör’ sicher nicht zu den Leuten, die meinen, man sei selbst schuld, wenn man sich mit dem polnischen Gesindel einläßt. Ja, aber warum denn nicht, sag’ ich dann. Man spielt eben, auch mit den Polacken. Ich meine, wenn die nun einmal schon hier sind, warum nicht mit ihnen spielen? So denkt der Österreicher. Der Österreicher denkt freundlich. Wie kann denn einer ahnen, daß sich diese Leute derart aufführen? Das ist ja Krieg. Und die Polizei kommt zu spät. Großaufgebot, aber zu spät. Der Axel Pieler hat immer gesagt: Die Polizei, bevor die was tut, laviert sie erst einmal herum, das ist denen ihre goldene Regel. Die Sicherheit der Polizei geht vor. Wirklich, Herr Vavra, ich begreif’ ganz gut, daß Sie da nicht mehr wohnen wollen. Aber was nützt das schon? Ich sag’ Ihnen, Sie können hinkraxeln, wo Sie wollen, die Polen sind überall. Eine Freundin von mir hat Polen gesehen, stellen Sie sich das vor – auf Formosa.«
    »Das heißt jetzt Taiwan, Mama.«
    Plötzlich sah Frau Grabow, geborene Mikl, erschrocken auf Vavras Kaffee. Auf den ganzen Saustall, der die Tasse umgab.
    »Meine Tochter, natürlich«, sagte sie, wie man sagt: mein Geschwür, leider. Und an diese Tochter gerichtet: »Das war also nicht möglich, dem Herrn Vavra einen frischen Kaffee zu machen.«
    Woher weiß sie, daß der Kaffee aufgewärmt ist, fragte sich Vavra, als hätte er selbst nie eine Mutter gehabt. – Eine Sache des Instinkts? Oder auch bloß die Gewißheit von Müttern, ihre Töchter seien miserable Gastgeber?
    »Sie entschuldigen schon, Herr Vavra, das Kind weiß nicht, was sich gehört«, sagte die Alte, klopfte mit ihren Fingern, auf denen die Ringe wie Gegrilltes auf Spießen steckten, gegen seinen Schenkel, stand auf und verließ das Zimmer.
    »Eine Plage«, seufzte das fünfzigjährige Kind.
    »Ihre Mutter?«
    »Lassen Sie sich bloß nicht von ihr einwickeln. Sie bringt die Menschen um.«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Sie hat noch einen jeden ausgesaugt.«
    »Sie ist eine alte Frau«, sagte Vavra, als würde das irgend etwas erklären. Er war sich selbst im unklaren, was er damit sagen wollte. Überhaupt, was sollte dieses Gespräch? Was kümmerten ihn anderer Leute Mütter?
    »Also, wie hat es Ihnen gefallen?« erinnerte ihn Liepold, warum er eigentlich hier saß.
    »Was soll ich sagen?«
    »Sie werden doch eine Meinung dazu haben.«
    »Ich fand es durchaus interessant.«
    »Was verstehen Sie unter durchaus ?«
    »Laß doch den armen Menschen in Frieden«, schrie Frau Grabow aus der Küche. Offensichtlich besaß sie ein hervorragendes Gehör.
    »Sie ist schwerhörig. Das haben mehrere Fachärzte bestätigt. Verstehen Sie jetzt, was ich meine?« flüsterte Liepold.
    »Sechster Sinn?«
    »Das wäre die harmloseste Möglichkeit. Sie ist ein Ungeheuer.«
    »Schlagobers?« kam es von draußen.
    »Ich hoffe, sie fällt in den Mixer.«
    Vavra lächelte. Liepold aber meinte es ernst. Die Vorstellung, wie die scharfen Rotorblätter eines überdimensionalen Mixstabes ihrer Mutter ein Ende bereiteten, gehörte zu ihren bevorzugten Phantasien.
    Nach einigen Minuten erschien Frau

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