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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Grabow mit einem Tablett, auf dem sich Zwiebelmustergeschirr türmte. Sie machte einen erschöpften Eindruck, wankte. Vavra sprang auf.
    »Sie markiert.«
    Vavra, an sich wenig hilfsbereit, hörte nicht hin, glaubte das Tablett retten zu müssen, bevor die Alte zusammenbrach.
    Ingrid Liepold lehnte sich mit der Gefaßtheit der Verzweiflung zurück. »Achten Sie gar nicht darauf. Wenn sie stöhnt und keucht, das hat nichts zu bedeuten. Sie liebt es, Anfälle vorzutäuschen. In Wirklichkeit ist sie nicht umzubringen.«
    Doch Vavra hatte der nicht Umzubringenden bereits das Tablett aus der Hand genommen und es auf den Tisch gestellt. Die Alte begann zu schluchzen. Hielt sich die Hand ans Herz, als schwöre sie einen Eid. Drohte jeden Moment einzuknicken. Ihr Gesicht war weiß. Sie sprach mit Mühe, als ringe sie um letzte Worte. »Meine Tochter macht mich vor jedem Gast schlecht. Eifersüchtig ist sie.«
    »Jetzt kommt die Tour.«
    Die Farbe fuhr wie ein Überraschungsschlag in Grabows Gesicht zurück. Der Körper straffte sich. »Eine Tour? Weißt du, was eine Tour ist, mein Engerl? Sich vor Männern ausziehen und dann um ein Kompliment winseln für diese angebliche Tanzerei.«
    »Angeblich? Hast du eine Ahnung!«
    »Oha! Muß ich vielleicht von Kunst sprechen.« Sie dehnte das tragende Wort. »Tanz kunst oder gar Schauspiel kunst .«
    »Was weißt du von Kunst? Bist einmal mit diesem … Schriftsteller … ins Bett gegangen. Seither redest du über Literatur, als hätte man sie dir eingepflanzt.«
    »Kannst du ordinär sein. Außerdem – der Alexander war ein Freund von deinem Vater. Mich hat der gar nicht interessiert. Ein blasierter Mensch.«
    »Als hätte dich das je davon abgehalten.«
    »Frech, das kannst du sein.«
    »Bitte«, sagte Vavra so laut wie nötig.
    »Natürlich«, antworteten beide Damen. Ein merkwürdiger Chor.
    Frau Grabow schenkte Vavra Kaffee ein. Ruhiger konnte eine Hand nicht sein. Breiter kein Lächeln. Gleichmäßiger kein Atem. Ihre Tochter lenkte das Gespräch in andere Gefilde, indem sie wissen wollte, ob Vavra schon eine neue Wohnung gefunden habe.
    »Noch nicht. Ich mußte ja, wie Sie vielleicht wissen, ins Spital. Bin eben erst entlassen worden.«
    Grabow schlug die Hände zusammen, konnte es gar nicht fassen, daß der arme Mensch derart schlimm verletzt worden war, bat um Details. Sie sei mit der Medizin durchaus vertraut, eine Leidenschaft.
    »Meine Mutter ist rasend interessiert, genau zu begreifen, wie ihre Freundinnen sterben. Dafür hat man ja Freundinnen. Um zusehen zu können, wie sie dahinsiechen, absterben, je langsamer, desto erfreulicher. Ich hab’ doch recht, Mama?«
    Die Alte ignorierte die Bemerkung, tätschelte Vavras Hand, der unter dieser Berührung meinte, sein Blut flocke, sich raschest dem Zugriff entzog, jedoch nun erst recht gezwungen war, von seiner Gehirnerschütterung zu erzählen, den Hämatomen, was stimmte, der gebrochenen Rippe, den Schnittwunden an den Beinen, eine Erfindung. Warum an den Beinen, erkundigten sich beide Damen. Nun, das konnte er auch nicht sagen. Wer vermochte schon die kriminellen Intentionen gebürtiger Polen zu durchschauen.
    Frau Grabow wollte seine Beine sehen. Er griff sich an den Kopf – wie war er bloß auf diesen Unsinn gekommen? Die Damen dachten, ihm sei übel geworden bei der Vorstellung, seine Schnittwunden präsentieren zu müssen. Die Alte verzichtete, wenngleich schweren Herzens, nicht der Männerbeine, sondern tatsächlich der Wunden wegen.
    Vavra wurde der obligatorische Schnaps serviert, der die Medizinschränke und die exorzierenden Rituale dieses Landes beherrschte. Auch Liepold schenkte sich ein Glas ein, untersagte allerdings ihrer Mutter, sich zu bedienen. Die Alte murrte ein wenig, schien aber in diesem Punkt der Autorität ihrer Tochter ausgeliefert zu sein. Überhaupt stellte Vavra mit der Zeit fest, daß in Wirklichkeit Liepold das Sagen hatte, ihre Mutter zwar über ein beachtliches Mundwerk verfügte, sich gerne belehrend gab oder eben mittels kleiner Schwächeanfälle in Szene setzte, doch in den wesentlichen Fragen ordnete sie sich kindchenhaft unter.
    Als die Alte den Deckel der Zuckerdose hob, fragte sie kleinlaut, ob sie sich zwei Würfel nehmen dürfe. Ein strenger Blick Liepolds genügte. Ihre Mutter ließ den Deckel los, als hätte sie sich verbrannt. Dann griff sie nach dem Saccharin. Während sie ein einziges kleines Pulverstück in ihre Tasse gleiten ließ, fragte sie Vavra, wo er denn – bis zum

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