Tortengraeber
andere sportlich, wie alles Sportliche ein wenig vulgär. Tatsächlich sahen Birgitta Hafner und Else Resele sich ähnlich, als sie da in Direktorinnenkostüm und silberweißem Skianzug nebeneinanderstanden.
»Sie ist vollkommen taub«, sagte Hafner, nachdem sie zu Cerny getreten war, »aber was stört es schon, die Musik laufen zu lassen.« Und dann, indem sie Cerny ansah, als schaue sie auf eine Speise, die sie nicht bestellt hatte: »Sie wollten mich sprechen.«
»Sie und Ihre Familie. Ich werde nicht lange stören.«
Mit einem kurzen Blick wies die Hausherrin auf die taube Frau. »Meine Mutter kennen Sie ja nun. Sie wird Ihnen kaum helfen können. Früher sammelte sie Bücher. Jetzt sammelt sie Schlaganfälle. Die Schlaganfälle zeitigen Folgen, aber bringen sie nicht um. – Gut, kommen Sie mit, Herr Inspektor, oder was Sie darstellen mögen.«
Cerny ließ die Frage nach seinem Rang unbeantwortet und folgte Hafner zurück zu Turnsaal und »göttlichem« Entree. Resele hielt Abstand, als führe sie ihre eigene Untersuchung. Man stieg die Haupttreppe hinauf in den zweiten Stock und trat in einen loftartigen Raum, in dem eine in das Mauerwerk eingelassene durchgehende Vitrine die drei fensterlosen Wände teilte und eine Sammlung von Hafnergläsern ausstellte. Um einen kniehohen hölzernen Tisch, welcher aussah, als hätte irgendein großes Tier seine Krallen daran geschärft, stand eine von diesen Sitzgruppen, die konzipiert waren, ganze Firmenleitungen aufzunehmen. In diesem Moment aber saßen bloß sechs Personen um ein abgekoppeltes Stück des Tisches. Einer von den vier Männern war Cerny nicht fremd, Eduard Rad, ein gemütlicher, dicklicher Herr mit verklebten Augen, einst Staatsmeister im Fechten, dessen Gesicht folgerichtig erst bekannt geworden war, als er seine Schutzmaske endgültig abgelegt und mehreren maroden Unternehmen zu Seriosität und Erfolg verholfen hatte. Ein Engel von Mensch, der der evangelischen Kirche nicht weniger als ein funkelnagelneues Gotteshaus geschenkt hatte.
Doch wirklich berühmt war der Mann durch einen Werbespot geworden, in welchem er nichts anderes tat, als einen neuen Gesundheitsdrink, der zwar ein Logo, aber keinen Namen besaß, vor seine Brust zu halten und in die Öffnung der Flasche zu sehen. Der Erfolg war so unberechtigt wie unerklärlich. So ist Erfolg nun mal, hatte Rad kokett formuliert. Waren es seine verklebten Augen gewesen, gegen die er nichts unternahm, die gelblichen, schleimigen Fäden, die seine Wimpern vernetzten, was ihn aber in keiner Weise zu stören schien? Weder gesundete er in dem kurzen Film, noch wurde seine abwartende Haltung bestraft. Auch sah er lange nicht so fett aus, daß man einen diätetischen Hinweis hätte vermuten können. Die Inszenierung begnügte sich damit, Rad und das Getränk zu zeigen. Und reduzierte die Botschaft auf den Hinweis, daß man dieses Produkt kaufen könne. Was die Leute dann auch taten, obgleich der eindeutige Geschmack von gesüßter Milch wenig Überraschungen zuließ.
Was die noblen Hafners mit diesem bunten Hund verband, konnte Cerny nur erahnen. Wahrscheinlich war es die evangelische Kirche. Zwar hatten die Hafners sich nie dazu verstiegen, gleich eine ganze Kirche zu spenden, waren aber durchaus gönnerhaft, wenn es darum ging, einige jener Löcher zu stopfen, die der harte Wettbewerb auch in den Finanzen der Protestanten zurückließ.
Beim Rest der Anwesenden handelte es sich um Familienmitglieder, die jetzt von der Hausherrin vorgestellt wurden und deren Kurzbiographien Cerny aus den Akten vertraut waren. Frau Hafners Söhne saßen Seite an Seite, der eine Christ-, der andere Sozialdemokrat. So loyal zur Partei wie brüderlich vereint, engagierten sich beide im Bereich »Interfraktionelle Überlegungen«. Die beiden Damen waren ihre Gattinnen, die sich nicht ganz so gut verstanden, obwohl auch sie siamesisch saßen. Das große Schweigen stand ihnen zehrend ins Gesicht geschrieben. Und da gab es noch einen Herrn mit auffälligen Augenbrauen, die dicht und dunkel in der Mitte zusammenwuchsen, doch ab der Augenmitte entweder so hell wurden, daß man sie aus der Distanz nicht mehr wahrnehmen konnte, oder sie waren schlichtweg nicht vorhanden, eine Paradoxie, die an Frau Hafners Mutter erinnerte. Und wirklich war dieser Mann einer der Söhne der Alten, ein paar Jahre jünger als Birgitta. Sowenig wie seine zwei Brüder war er als Familienoberhaupt in Frage gekommen und hatte sich wie diese in die Wissenschaft
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