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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Selbstbestimmung erwuchs.
    Hatten Rads Augen gezuckt? Andererseits, warum sollten verklebte Augen nicht zucken? Gerade solche hatten es doch wohl nötig. Dennoch konzentrierte Cerny seinen Blick auf den Fechtmeister, während er jetzt bekanntgab, daß Herbart Hufeland vor dem Café Hummel erschossen worden sei. Rads selbstzufriedene Visage schien für einen Moment wie eingerüstet, bevor er wieder dieses gleichmütige Gesicht freigab, das die relative Gefährlichkeit von Großstädten und die eigene beträchtliche Distanz zum Ermordeten ausdrücken sollte.
    Cerny ließ von Rad ab, sah zu Birgitta Hafner, die noch immer stand. Zwei Schritte hinter ihr Else, als wollte sie die Hausherrin auffangen. Welche freilich nicht wankte, auch nicht physiognomisch, nur knapp erklärte, Hufeland sei ein väterlicher Freund gewesen, ihr väterlicher Freund, wenn Cerny es genau wissen wolle. Mit dem Rest der Familie sei er kaum bekannt gewesen.
    »Feinde?« wollte Cerny wissen.
    »Wozu diese unsinnige Frage? Was denken Sie – daß ein gerichtliches Gutachten zur Freude aller erstellt wird? Herbart hatte so viele Feinde, wie er Expertisen verfaßt hat.«
    »Und ebenso viele Freunde.«
    »Unter den Juristen, den Politikern, den Ganoven? Das kann nicht Ihr Ernst sein.«
    »Sagen wir eben: treue Anhänger seiner Vortragskunst.«
    »Mann Gottes«, unterbrach ihn der Tübinger, »ich denke, das genügt jetzt. Wie ich bereits erklärt habe: Die Wiener Polizei scheint sich darin zu gefallen, die Verfolgung von Tätern zu scheuen. Faulheit oder Konzept, frage ich Sie? Und was soll dieses völlig unangebrachte Verhör? Was wollen Sie? Hier im Warmen sitzen? Oder gefällt es Ihnen, unsereins zu belästigen? Klassenhaß? Germanophobie? Ich stelle mir vor, wie gerade in diesem Moment mit lachhafter Halbherzigkeit die Vernehmung der Augenzeugen erfolgt und nichts unternommen wird, um die Spur der Mörder dieses Herrn Hufeland aufzunehmen. Während man Leute wie sie entsendet, um eine Maschinerie in Gang zu halten, die sich nach hinten bewegt. Ut aliquid fieri videatur.«
    »Latein kann nie schaden«, versicherte Cerny dem Tübinger, der seiner Erregung noch gerne mittels weiterer Hiebe der Bildung Ausdruck verliehen hätte. Wurde aber von seiner Schwester am Weiterreden gehindert. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter, als drehe sie ein Bügeleisen auf Null. Das genügte.
    Cerny dankte der Hausherrin mit einem erlösten Blick. Dann wandte er sich an Rad. »Kannten Sie Hufeland?«
    »Wer kannte ihn nicht? Ein Original, ein wirkliches. Aber ich kann mich weder zu seinen Feinden noch zu seinen Freunden zählen. Am ehesten zu den Anhängern seiner Vortragskunst, wie Sie das auszudrücken beliebten.«
    »Sie haben geschäftlich mit ihm verkehrt.«
    »Ach, seien Sie doch nicht grauenhaft. Ich habe mit dem Hufeland ein paar Mal geplaudert, seinen Wortwitz bewundert. Attest brauchte ich keines, wenn es das ist, wonach Sie fragen.«
    »Genügt das?« beendete Frau Hafner auch diese kurze Runde.
    »Ich hatte gehofft, einer von Ihnen könnte einen Bezug zwischen Wiese und Hufeland herstellen. Was sich ja anbietet, ein Bezug.«
    Cerny sah in die Runde, die schweigend seinen Abgang erhoffte, vielleicht auch nur, weil man eben nicht Kaffee trinken wollte, wenn von einer durchschnittenen Kehle die Rede war. Cerny erhob sich, dankte auch ohne Kaffee und bat Frau Hafner, sie kurz alleine sprechen zu dürfen. Sie gingen auf den Gang hinaus. Cerny erkundigte sich nochmals nach Wiese, ob nicht doch eine Verbindung zwischen dem Psychoanalytiker und Hufeland vorstellbar sei.
    Frau Hafner erachtete es nicht für nötig, in irgendeiner Weise zu reagieren. Auch wenn sich dieser Polizist wiederholte, ihr fiel nicht ein, es ihm gleichzutun.
    »Oder ein Bezug zu Sarah? Ich frage nur, da der Dr. Wiese auf Eßstörungen spezialisiert war. Und Ihre Tochter hatte ja diesbezüglich gewisse Schwierigkeiten. Darum.«
    Cernys Ausdruck war geradezu priesterlich zurücknehmend, schleimig, der Blick aber wachsam. Auch wenn Frau Hafners Gesicht noch immer nichts verriet, so spürte er die Veränderung, als sei etwas in ihrem Körper gebrochen, nicht gleich ein ganzes Herz, bloß ein Knochen. Sie sackte ein, nicht auffälliger, als wenn sie ausatmete. Aber in diesem Moment atmete sie nicht. Ein Bruch, ein winziger Bruch. Und um eine entscheidende Lächerlichkeit war sie geschrumpft.
    Ohne auf seine Bemerkung einzugehen, forderte sie Cerny auf, das Haus zu verlassen. Nicht

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