Tortengraeber
geflüchtet, die ja so vielen Enttäuschten Heimat geworden ist. Alle drei saßen sie in Tübingen, wo sich das Abenteuer bekanntermaßen in Grenzen hält – ledig, kinderlos, Professoren, zwei davon auch Komponisten.
Es war schon so, daß man sämtliche Hafners überprüft hatte, schließlich bildeten Entführungen ohne Beteiligung enger Verwandter und Freunde eher die Ausnahme. Doch war es schwer gewesen, die vom Tod Sarahs erschütterten und tief gebeugten Angehörigen hinter der praktischen Fassade ihrer Gebeugtheit hervorzubitten, um Fragen zu stellen, die sie als Frechheit, Anmaßung und Amtsmißbrauch empfanden und nicht ohne Anwalt beantworten wollten. Zudem insistierten gleich zwei Minister darauf, jegliche Respektlosigkeit gegenüber einer Familie von derartigem Ruf zu unterlassen. Man könne mit solchen Leuten nicht umspringen, als handle es sich um »moldawische Bauern«. Und dann war die Sache mit einem Mal erledigt. Und der Reiz des kriminellen Ostens hatte sich erneut als unübertroffen erwiesen.
Weshalb der Tübinger, der irgend etwas mit dem Frühneuhochdeutschen zu schaffen hatte, sich mit einem Lächeln, aus dem Nesseln wuchsen, die Frage erlaubte, warum sich österreichische Polizeiorgane mit einer solchen Vorliebe in Familiengeschichten vertieften, warum sie Tatorte mit pedantischer, aber selten zielführender Akribie kartographierten, um dann immer wieder zu diesen Tatorten zurückzukehren.
»Es wird doch gemeinhin von den Tätern behauptet«, dozierte der Tübinger, »sie litten unter einer Tatortfixierung. Doch ganz im Gegenteil, die Täter sind die, die sich raschest entfernen, als sei Mobilität ihr exklusives Recht. Und zurück bleibt die Polizei und belästigt die Angehörigen der Opfer.«
Sarah Hafner war aus diesem Haus heraus entführt worden. Deshalb sprach der Mann von einem Tatort. Cerny lächelte mit den Zähnen zurück und erklärte freundlich, daß eine intensive Bindung an den Tatort nicht sein Problem sei und er auch nicht hier wäre, weil er sich für den Stammbaum der Hafners interessiere. Dann fragte er: »Ist jemand von Ihnen der Name Wiese vertraut, Dr. von Wiese? Nein? Psychoanalytiker aus dem schönen achtzehnten Wiener Bezirk, jetzt tot, der Analytiker.«
Cerny hatte sich in gebührendem Abstand gesetzt und beschrieb nun detailliert, in welchem Zustand er Wiese, den hier niemand kennen wollte, aufgefunden hatte.
»Herr Wiese ist nur der eine prominente Tote des Tages. Den anderen kennen Sie mit Sicherheit.«
Cerny beobachtete die Gesichter. Birgitta Hafner hätte wohl beide Herren auf dem Gewissen haben können, ohne daß eine innerliche Regung die beinahe faltenfreie Maske in ihrem Gesicht aufgeweicht hätte. Alles, was sie tat, hielt sie für unbedingt richtig. Sie fühlte sich frei von Selbstüberschätzung, hielt ihre Entscheidungen nicht für eitel, sondern betrachtete diese als Ausformung einer einzigen, jeder moralischen Frage enthobenen Möglichkeit. Entstanden aus einer göttlichen Vorgabe, an die sie sich exakt zu halten meinte. Hätte je ein Zweifel sie geplagt, sie hätte sich wohl umgebracht.
Ihre Söhne saßen unbewegt auf ihren Plätzen, als säßen sie bereits auf einer gemeinsamen Regierungsbank, angenehm müde, bemüht, das bißchen Zeit zwischen den Mahlzeiten mit Anstand zu überbrücken. Das waren nicht die Männer, die Mordaufträge erteilten, sie gehörten nicht zu jenen, die an ihrem »gesunden Verhältnis zur Macht« wie an einer therapieresistenten Psychose krankten. Ihre beiden Gattinnen getrauten sich kaum zu atmen. Wobei es nicht die Anwesenheit eines Polizisten war, die ihnen bedrohlich erschien, sondern die ihrer Schwiegermutter. Der Herr Professor war selbstredend ungeduldig, verbat sich jede Art von Rätselspiel. Dort, wo die Augenbrauen kollidierten, bildete sich nach oben und unten eine Furche, wodurch ein Kreuz entstand, ein quasi katholisches, da der Mann konvertiert war, eine pubertäre Dreistigkeit, die singulär geblieben war. Kaum anzunehmen, daß er gewagt hätte, sich an einer solchen Entführung zu beteiligen. Auch wenn er und seine Brüder noch immer unter der Bedeutung der Schwester litten und unter der ungewöhnlichen Widerstandsfähigkeit jener Frau, die sie kaum als Mutter empfanden und endlich unter die Erde wünschten, so waren sie in der Wissenschaft doch bestens aufgehoben und versorgt. Furchtsam gegen die Schwester, aber gefürchtet von Studenten, jetzt, da die studentische Demut wieder aus den Trümmern der
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