Tortengraeber
längst vorbei war, wollte sie sich nicht beruhigen. Hat gedroht, sie würde zur Polizei gehen. So was kann ich auf den Tod nicht ausstehen. Nichts gegen die Beamten, die unsere Konditorei beehren. Aber wer braucht die Polizei? Worauf ich den Spieß umgedreht und ihr meinerseits gedroht habe. Und ich glaube, darin bin ich besser als so ein junges Dirndl. Andererseits hat sie mir auch leid getan, und ich habe ihr eine Entschädigung angeboten. Sie ist dann sehr schnell vernünftig geworden. Mit jedem kann ich reden, jeden kann ich zur Vernunft bringen. Nur den Franz nicht. Ich habe gefragt: Franz, ich bitt’ dich, wie stellst du dir das vor? Aber mir scheint, das war die falsche Frage. Er hat mich nicht einmal angesehen und sich wieder an die Arbeit gemacht. Ich sag’ mir noch: Na gut, vergessen wir das. Und was macht er? Zwei Monate später entführt er die zwölfjährige Enkelin meiner Schwester. Da hört sich der Spaß auf. Drei Tage lang waren die beiden verschwunden. Ich habe meiner Schwester reinen Wein einschenken müssen. Und gleich gewußt: Das kommt mich teuer zu stehen. Die Kindsmutter haben wir mit einer passenden Geschichte vertröstet, die war nicht das Problem. Und der Elvira ist ja auch nichts passiert. Der Franz hat sie nicht angefaßt, sie auch nicht gefesselt, nicht die eigene Großnichte. Bloß eisern geschwiegen und blöd geschaut. Gut, das Kind war verwirrt, hat Fragen gestellt, wollte nach Hause, natürlich, aber Kinder halten das schon aus. Die sind robust. Und wenn man sie läßt, werfen sie solche Erlebnisse auf den Müll. Ich sage Ihnen, meine Herren, gerade Ihnen, nicht die Verdrängung ist das Problem, sondern die Erinnerung. Man müßte die Erinnerung abschaffen. So wie ja auch der Skandal des Lebens nicht der Tod ist, sondern daß man ständig an ihn denkt. Na gut. Wer sich wie erwartet aufgeregt hat, das war meine Schwester. Das gierige Weibsstück hat sich über psychische Folgeschäden ausgelassen, daß dieser Vorfall nicht wiedergutzumachen sei. Natürlich war er das. Ich wußte ja gleich, worum es ihr ging. Unser alter Erbschaftsstreit. Also habe ich ihr die Liegenschaft in Krems überlassen. Soll sie dort verkommen. Wer will schon nach Krems? Wollen Sie nach Krems? Keiner will das.«
Um in Zukunft ähnliches zu verhindern, hatte Frau Lukas einen ihrer Kellner von der Konditorei abgezogen und beauftragt, Franz im Auge zu behalten. Was einige Zeit funktionierte. Dann war der Angestellte verschwunden. Und sollte auch nicht wiederauftauchen. Was alles mögliche bedeuten konnte.
Eduard Rad fuhr mit dem silbernen Besteck in den Kopf seiner Pfeife, drückte Asche und Tabak gegen den Grund, bedächtig, liebevoll. Es sah aus, als nehme er eine Einpflanzung vor. Er blies den Rauch stoßweise aus, sah kurz zu Gähnmaul und setzte seine Rede fort.
»Dann hat die Lukas begonnen, auch uns zu drohen. Fragen Sie mich nicht, womit eigentlich. Keiner von uns steht in ihrer Schuld. Keiner ist ihr in irgendeiner Weise verpflichtet. Auch ist diese Frau nicht eigentlich mächtig, die Beziehungen eines Professor Hufeland, eines jeden von uns, sind die ungleich besseren. Aber es geht um etwas anderes. Ihre Macht ist nicht von dieser Welt. Und ihre Drohung war eine prinzipielle. Nicht faßbar. Man konnte nichts erwidern. Sie drohte ja nicht mit irgendwelchen Aufdeckungen oder gar mit Gewalt. Um es jetzt doch in Sprache zu fassen: Sie drohte uns gleichsam mit einem Lokalverbot.«
»Na, das ist keine Kleinigkeit«, spottete Cerny.
»Ich habe befürchtet, Sie würden es nicht begreifen. Da kann man nichts machen. In jedem Fall, wir haben uns gebeugt und dazu verpflichtet, zwar die Entführung als solche anzuzeigen, aber eine Unkenntnis der genauen Umstände zu heucheln. Nicht bloß der Bäckermeister, die ganze Bäckerei sollte aus der Sache herausgehalten werden. Es war unwahrscheinlich, daß einem der Gäste das Mädchen aufgefallen war. Die Leute waren mit sich und ihren Süßspeisen beschäftigt gewesen. Madame Lukas verlangte die Telefonnummer der Hafners und entließ uns. Sie würde die Sache selbst in die Hand nehmen, eine profitorientierte, professionell angelegte Entführung vortäuschen, um die nachforschenden Behörden und auch die Familie Hafner zu beschäftigen. In ein paar Tagen würde das Kind wieder zu Hause sein und die Entführer unauffindbar, was weder den Ruin der Hafners noch den der Polizei zur Folge hätte. Gut, auf Wiese würde man herumhacken, weil er seine Obhut
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