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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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heraus. Was unheimlich aussah. Aber es konnten genausogut die Blüten heller Tulpen sein. Oder die Stirnfransen eines blonden Schopfes. Was sich dann schon weit weniger unheimlich ausgenommen hätte.
    Cerny fragte nach der Chefin. Eine der Angestellten wies auf die Tür, die zum sogenannten Bergsteigerstüberl führte. Die Konditorei war gesteckt voll. Gleich als sie eintraten, baute sich ein Kellner vor Cerny auf und sah auf ihn hinunter wie auf eine Nachgeburt. Registrierte und erkannte dann aber hinter Cerny Frau Resele, die blond und sportiv und körpergroß die kleinere, dunkle Polizistengestalt überstrahlte. Else signalisierte mit einem besitzergreifenden Blick auf Cerny, daß dieser zu ihr gehöre. Der Kellner lächelte dünnlippig. Eigentlich war er es leid, die Exzentrik mancher Gäste zu ertragen. Während er selbst, wie die meisten seiner Kollegen, stockkonservativ, Monarchist und erzkatholisch war, konstatierte er mit Grausen den moralischen Verfall des Establishments, die Vernuttung und Proletarisierung selbst der reaktionären Elite, die späte sexuelle Revolution, also sexuelle Destabilisierung des Bürgertums, leider auch der Monarchisten und Erzkatholischen.
    Resele packte den Kellner am Arm. Er verzog sein Gesicht unter Schmerzen.
    »Seien Sie ein Schatz, bringen Sie uns zur Chefin.«
    Der Mann, der niemandes Schatz sein wollte, sagte: »Einen Augenblick, bitte«, dann verschwand er kurz hinter der tapezierten Schwingtür, kehrte zurück, warf den Kopf herum und führte die beiden in die Küche.
    Das Atmen fiel so schwer wie in Gähnmauls Atelier, nur daß es hier Mehlstaub und Dampf waren, die die Luft verstopften. Zwei Männer, an deren weißen Kitteln Schokolade klebte wie anderswo Blut, unterhielten sich über einen Topf hinweg. Ihrem Italienisch fehlte das klischeehafte Tempo. Von der Decke hing Knoblauch. So schien es. Tatsächlich handelte es sich um ein Radiogerät, das aus einer Kette von Kugeln bestand. Ein Kommentator gedachte eines jüngst verstorbenen Jahrhundertbürgers und Literaturgiganten, dessen Tod merkwürdig berühre, eben weil dieser Mann so alt gewesen war, daß man sich seinen Tod gar nicht mehr hatte vorstellen können. Die Italiener lachten. Über den Tod?
    Frau Lukas trat hinter einem Koloß von Mixer hervor. Cerny war erstaunt. So hatte er sich die Frau – von der behauptet wurde, eine Menge Leute erfolgreich mit einem Fluch belegt zu haben – nicht vorgestellt. Eine kleine, wackelige Person, die in viel zu großen Gummistiefeln schwamm und trotz der beträchtlichen Hitze einen abgetragenen Anorak trug. Die grauen Haare unter einem Kopftuch. Das Gesicht borkig. Sie sah aus, als sei sie zu lange im Wald gestanden, ohne jedoch griesgrämig geworden zu sein. Ein freundliches Wurzelweib.
    Cerny stellte sich als Kriminalbeamter vor. Und zum ersten Mal auch seine sogenannte Kollegin.
    Frau Lukas blieb unbeeindruckt. Sie faßte einen Löffel am ungewöhnlich langen Stiel und stieg auf einen Schemel, mußte dennoch ihren Körper strecken, um über den Rand des Behälters zu gelangen. Als sie wieder herunterkam, befand sich eine braune Masse in der Vertiefung des Löffels, den sie Cerny an die Lippen hielt. Er lächelte verunsichert, öffnete schließlich den Mund, so daß sie das Gerät einführen konnte.
    Weder schmeckte die Creme nach himmlischen noch nach teuflischen Einflüsterungen, sondern nach Schokolade, Pistazien, nach Honig und Butter, sie schmeckte so, wie diese Frau aussah, sie schmeckte freundlich. Keineswegs überirdisch, wie man nach Rads Erzählung hätte meinen müssen. Hier gab es kein Wunder zu erleben, sondern bloß ein versöhnliches Geschmackserlebnis, das keines Kommentars bedurfte. Frau Lukas wußte ja, was sie da zur Verkostung anbot.
    »Sie wollen sicher den Chef sprechen«, sagte die Frau.
    Cerny verstand nicht.
    »Mein Mann kommt gleich.« Und rief nach ihrem Franz.
    Welcher nun ebenfalls hinter dem Mixer hervortrat, als habe er dort auf seinen Auftritt gewartet. Er war noch um einiges kleiner und borkiger als seine Frau, mindestens so wackelig in seinen Stiefeln. Auch er besaß die Ausstrahlung eines gutmütigen Waldmenschen. Man konnte meinen, die anständigsten Leute vor sich zu haben.
    Und was, fragte sich Cerny, wenn sie genau das waren?
    Auf jeden Fall schien Meister Lukas unter keiner Sozialneurose zu leiden, schüttelte Cerny und Resele die Hand. Sein Druck war kräftig, aber nicht rücksichtslos. Er erkundigte sich, womit er dienen

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