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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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behaupten, daß sie der Typ der stolzen Mutter ist. Sie hält die beiden Buben für opportunistische Idioten und hat sie für die Politik abgestellt, wie man das früher für die Kirche tat. Na gut, das war nun eben ihr Mädel. Die Ähnlichkeit offensichtlich, wenn man in der Lage war, sich zu dem Skelett auch noch das Fleisch vorzustellen. Ich habe mich gefragt, was denkt sich der Wiese eigentlich. Schleppt ein Kind daher, das aussieht, als würde es bereits beim Anblick von Salat unter Völlegefühl leiden, ausgerechnet ins Lukas, wahrlich kein Ort kulinarischer Zurückhaltung. Und dann hat der Wiese eine ganze Tortenladung bestellt. Was sollte das sein? Schocktherapie? Kein Wunder, daß das Kind noch bleicher wurde, als es ohnehin war, und nach draußen gerannt ist. Ich habe den Joachim gefragt, wie er bloß auf die Idee kommt, so ein Gerippe von einem Teenager hierherzubringen und ihr eine halbe Tortenplatte vorzusetzen. Aber der hat bloß still vor sich hin gelächelt und sich an einer Cremeschnitte gütlich getan. Der Joschi, so hat Hufeland den Wiese genannt, der Joschi wisse schon, was er tue, auch wenn das bei einem Analytiker einem Wunder gleichkomme. Nun, unser guter Joschi wußte vielleicht, was er tat, etwa in dem Sinn, wie jemand über die Heilkraft von Wasser Bescheid weiß. Aber das Schicksal tut etwas ganz anderes, etwa in dem Sinn, daß man im Wasser auch ertrinken kann. Und als nach einer Viertelstunde der Wiese zwar seine Torten verputzt und mit zwei Gläsern vom Hausschnaps ordentlich nachgespült hatte, stellte sich bei ihm eine gewisse Unruhe ein. Werden dicke, ich meine wirklich dicke Menschen nervös, so sieht das immer unappetitlich aus. Sie verlieren ihre Form, ihre Haltung, zuerst die psychische, dann fällt der Körper auseinander. Das war nicht mit anzusehen, weshalb ich das Fräulein hinter der Espressomaschine gebeten habe, nach dem Kind zu schauen.«
    Die Sache begann unangenehm zu werden, denn Sarah war nirgends zu finden. Immerhin waren die Herren überzeugt, daß sich das Mädchen innerhalb des Lukasschen Territoriums aufhalten mußte, da man als Gast nur über die Bäckerei das Lokal verlassen konnte, und dorthin war sie nicht gegangen, sondern hinter jener Türe verschwunden, die zu einem Extrazimmer, einem Lagerraum und hinunter in die Backstube führte. Joachim Wiese fing sich einen der Kellner, beschuldigte diesen, er habe das Mädchen durch eine anstößige Bemerkung aus dem Raum geekelt. Der Angestellte, eben erst zum Dienst angetreten, allerdings bestens bezahlt, ertrug den Angriff schweigend. Die Madame Lukas erschien, woraufhin Wiese umgehend zur Ruhe kam, sich sogar entschuldigte, und zwar bei der Madame. Der Kellner verbeugte sich und zog ab.
    Als die Lukas erfuhr, wodurch die Aufregung entstanden war, hob sie die Brauen und senkte kurz die Lider, so daß einen Moment das gesamte changierende Grün auf ihren Augendeckeln wie ein Signallicht aufleuchtete, was wohl kaum eine Entwarnung bedeutete. Als sie die Augen wieder öffnete, wirkte sie müde, enttäuscht, um gleich darauf mit scharfem Blick von einem zum anderen zu sehen, als wollte sie sich der Entschlossenheit ihrer Truppe versichern. Man war eher guten Willens denn entschlossen und folgte Frau Lukas hinunter in die Backstube.
    Der Raum entsprach nun keineswegs den landläufigen Vorstellungen. Die üblichen Anlagen und Gerätschaften fehlten. Der vollständig mit Fliesen ausgelegte Bereich, in dem das künstliche Licht aus den obersten Ritzen strömte und sich schlierenförmig bewegte, gab einem das Gefühl, sich mitten in einem Aquarium zu finden. Im Zentrum stand ein metallener Arbeitstisch, auf dem man einen Elefanten hätte operieren können. Doch die Operationen, die hier stattfanden, waren ganz anderer Art. Wozu die Rinne diente, die um den gesamten Tisch führte, blieb rätselhaft. Hier mußte nichts abfließen. Auf einer Seite des Tisches waren Plastikgestelle und Kartons gestapelt, in denen sich, zumeist in Folien abgepackt, die Produkte verschiedener Großbäckereien befanden, labberige, zähe, trockene oder mittels mysteriöser Destillate angefeuchtete Waren, die üblicherweise auf den Eßtischen einer vom Qualitätsbewußtsein unbeleckten Käuferschicht landen.
    Auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches stand ein einfacher Holzstuhl. Von der Rückenlehne blätterte weißer Lack. Davor, auf dem Tisch, in einem mit gelbem Klebeband abgegrenzten, rechteckigen Arbeitsbereich, lag ein einzelnes

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