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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Croissant im Licht einer von der Decke herabhängenden Tageslichtlampe. Daneben ein Aquarellkasten. Zumindest sah er danach aus. In einem Wasserglas zwei Pinsel. Links der markierten Zone stand ein Karton, auf dem der Name einer bekannten Supermarktkette prangte, gefüllt mit Croissants, die getaucht waren in das rötliche Licht einer Wärmelampe, als werde hier gebrütet. Am Boden aufgerissene, leere Folienverpackungen. Rechts von der Begrenzung lagen ordentlich aufgereiht die Lukasschen Croissants, unverkennbar.
    Und so wurde nun also deutlich, was im Heißhunger, in der Hast der Gefräßigkeit oder im Zustand feinschmekkerischer Ekstase nur unbewußt das Geschmackserlebnis bestimmte. Die Ware des Bäckermeisters Lukas besaß die Ausstrahlung klassischer Kunst: das goldene, warme Licht, das nicht von außen auf den Körper fiel, sondern aus dem Inneren herausleuchtete.
    »Der Arbeitsplatz meines Mannes«, sagte Frau Lukas.
    Für die vier Herren war das starker Tobak, da einerseits der Mythos der Lukasschen Backkunst seine Berechtigung verlor, denn gebacken wurde hier ja nicht, sondern die Produkte ausgerechnet von Großbäckereien bezogen. Andererseits bewies die Veredelung der simplen Massenware zu erstaunlichen Kostbarkeiten um so eindringlicher, daß die Arbeit des Meister Lukas im künstlerischen Bereich anzusiedeln war. Die Frage war nun, ob es sich um Geniestreiche der Täuschung handelte. Oder ging die Veränderung, die Lukas vornahm, über einen geschickten, die innere Kraft, die innere Lichtquelle, den außerordentlichen Geschmack bloß suggerierenden Anstrich hinaus? War er ein Künstler, der die Schöpfung abbildete beziehungsweise sie zitierte, oder ein Schöpfer, der den künstlerischen Akt vortäuschte, um solcherart den diabolischen Charakter seines Handelns zu verharmlosen?
    Die Hausherrin breitete die Arme zu einer resignierenden Geste aus, seufzte, was beides wenig überzeugend wirkte, und ließ sich am Rand des Aquariums, dort wo eine hohe Öffnung in einen schwach beleuchteten Gang führte, auf einem Stuhl nieder. Die Herren, steif, verunsichert trotz Lebenserfahrung, bildeten einen Halbkreis, als gewähre ihnen Frau Lukas eine Audienz. Die Madame preßte die Lippen aneinander und wippte in schnellen, kurzen Stößen mit dem Kopf nach vorn. Man hätte meinen können, sie führe eine Nadel im Mund, um die vorbeiziehende Luft zusammenzunähen.
    Hufeland nahm sich einiges heraus, als er der Bäckereibesitzerin an die Schulter griff und sie darum bat, ihre offensichtliche Verzweiflung zu begründen.
    »Er hat sie.«
    »Was soll das heißen?« brach es lautstark aus Wiese heraus.
    »Halten Sie an sich, Herr Doktor«, ermahnte ihn die Lukas, »Sie brauchen hier nicht zu schreien. Hätten Sie lieber besser auf das Mädel aufgepaßt. Man kann diese jungen Dinger nicht einfach herumlaufen lassen, als wäre die ganze Welt ein eingezäunter Spielplatz. Aber kein Grund zur Panik. Ich kann zwar nicht sagen, wo mein Mann sie hingebracht hat. Aber es wird ihr nichts geschehen. Ich kenne das schon, der Franz sieht sich die Kleine bloß an. Auf keinen Fall wird er sie verletzen. Dafür kann ich garantieren. Aber wie lange das dauert, bis er sie zurückbringt, das trau’ ich mich nicht zu sagen. Mit ein paar Tagen müssen wir rechnen.«
    Frau Lukas erklärte, ihr Mann sei im Laufe der Jahre ein wenig merkwürdig geworden. Bei dieser Arbeit kein Wunder. Seelische Verdunklung. Die Beziehungsunfähigkeit von Bäckersleuten sei ja weithin bekannt, die ihres Mannes gemäß seiner ungewöhnlichen Leistung auch ungewöhnlich stark. Seit Jahren würde er schweigen, nicht bloß ihr gegenüber, der Ehefrau, was nicht weiter erstaunlich wäre, sondern gegenüber allen Menschen, die er zu Gesicht bekam. Und vor einem dreiviertel Jahr sei es dann zum ersten Mal passiert, daß er eine junge Angestellte, die in die Backstube geschickt worden war, verschleppt hatte.
    »Im Grund ist ihr nichts passiert. Gut, der Franz hat sie gefesselt, in einem entlegenen Weinkeller untergebracht, hat sich vor sie hingesetzt und sie eineinhalb Tage lang blöd angeglotzt. Einfach nur geschaut, nicht einmal lüstern, das hat sie selbst gesagt. Er hätte durch sie hindurchgesehen. Halten Sie mich ruhig für zynisch, aber ich frage mich, wozu dieser Aufwand? Natürlich hat das Mädel nicht wissen können, daß die Sache glimpflich ausgehen würde. Trotzdem: Schock hin oder her, man kann die Empfindlichkeit auch übertreiben. Selbst als die Sache

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