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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Frage, die Herren von der Lukasrunde hatten ein Verbrechen gedeckt. Doch die Wege der Justiz waren für ihn, den Kriminalbeamten, unerfindlich. Zudem war er angewiesen worden, einzig und allein Nachforschungen zu betreiben. Die Schlüsse, die Konsequenzen würden andere ziehen. Wenn sie sie zogen.
    Abschließend wollte Cerny von Gähnmaul wissen, ob er etwas beizutragen habe. Der Bildhauer schob seine schweren Arme vor die Brust und schüttelte den Kopf.
    »Also zu den Torten«, sagte Cerny und erhob sich. »Ich muß Sie beide bitten, sich zur Verfügung zu halten.«
    »Seit wann bittet die Polizei?« fragte Rad.
    »Mit potentiellen Mordopfern wird grundsätzlich ein freundlicher Umgang gepflegt«, erklärte Elsa Resele.
    Beim Hinausgehen blieb Cerny an einem schmalen Bücherregal stehen. Der Großteil der Buchdeckel war mit einer grauen Schicht überzogen, Titel nur noch zu erahnen. Der fette Band aber, den er herauszog, besaß noch einen frischen Glanz: Joachim Wieses illustrierte Geschichte von den Unerquicklichkeiten der Nahrungsaufnahme und ihrer Verweigerung.
    »Kann ich mir das ausleihen?«
    Gähnmaul blinzelte, nickte, Cerny solle sich das Buch ruhig nehmen. Es werde ihn freilich nicht weiterbringen. Bücher seien dafür geschaffen, Wände zu verstellen.
    »Wenn die Wände das nötig haben«, sagte Cerny.
    Als sie wenig später im Wagen saßen, legte Cerny den Wälzer in die mit rotem Samt ausgelegte Ablage zwischen den Sitzen.
    »Rad lügt«, sagte Else. »Selbst wenn er Pfeife raucht, lügt er. Ein Zigarettenraucher, der ein fremdes Rauchen akzentfrei vorspielt.«
    »Ein fremdes Rauchen?«
    »Sie können diese absurde Geschichte doch nicht ernst nehmen! Mir scheint, der Mann ist nicht ganz dicht.«
    »Wir werden sehen. Fahren wir zur Bäckerei Lukas. Kennen Sie den Weg?«
    Else kannte ihn. Sie war selbst mit Wiese einige Male dort gewesen, aber weder den anderen Mitgliedern der Lukasrunde noch den beiden Bäckersleuten begegnet. Wiese hatte nicht gerade zu jenen Analytikern gehört, welche eine strenge Grenze zwischen Berufs- und Privatleben zogen und sich ihren Analysanden als blutleere, emotionsresistente, durch und durch geheilte, gefaßte sowie nicht faßbare Persönlichkeiten präsentierten, ein wenig wie Internisten, die bei ihren Patienten gerne den Eindruck hinterließen, selbst nie zu erkranken. Wiese, eher burschikos, draufgängerisch, mitteilsam, hatte es vermieden, als unbefleckter Zuhörer aufzutreten. Er besaß sogar die Chuzpe, während der Analysegespräche seine eigenen Eßstörungen aufs Tapet zu bringen, betrog die Leute also nicht nur um ihre teuer bezahlte Zeit, sondern auch um ihre Rolle. Doch der zufriedene Teil seiner Kundschaft verließ die Praxis mit dem angenehmen Gefühl, die für exklusiv gehaltene persönliche Katastrophe könne nicht so schlimm sein, wenn der eigene Therapeut sich mit ähnlichen Schwierigkeiten herumplage.
    Natürlich ging Wiese nicht mit jedem dahergelaufenen Analysepatienten ins Lukas. Er selektierte je nach Sympathie. Konnte sich nicht mit allen anfreunden. Schließlich ging es um seine Freizeit. Und ein Samariter wollte er nicht sein.
    »Sie mochten ihn?« fragte Cerny.
    »Er war ein witziger Kerl. Vielleicht ein lausiger Analytiker. Vielleicht das Gegenteil.«
    »Na, wenn Sie das nicht wissen.«
    »Wie sollte ich?«
    Als sie das Lukas erreichten, lag das Dunkel eines Winterabends bereits recht kompakt über der Stadt. Es hatte wieder zu schneien begonnen. Ein gemächlicher, trödelnder Schneefall, hinterlistig wie ein Tod, der einem das Kissen richtet, die Decke über den Körper streift und sich dann dazulegt.
    Im Verkaufslokal waren zwei Frauen damit beschäftigt, die Vitrine zu reinigen. Wenige Brote lagen im Regal. Eine zur Tapete aufgeblasene historische Fotografie füllte die linke Seitenwand aus. Wien im Jahre neunzehnelf. Die dunkle Fassade eines Eckhauses. Auf einem Schild in malerisch geschwungener Schrift, von einer Kipfelform eingeleitet, von einer ebensolchen abgeschlossen, der Name Lukas, nicht mehr, darüber eine schlaff herabhängende Flagge. Die Passanten jedoch, die alle in eine Richtung marschierten, waren nach vorne geneigt, hielten ihre Hüte fest, als stemmten sie sich gegen einen Sturm. Auf dem Dach Dachdecker. Auf der Straße berittene Polizei. Der Wind schien die Gesetzeshüter nicht zu stören, sowenig wie er die Flagge störte. Gleich neben dieser ein geöffnetes Fenster. Aus dem Dunkel stachen bloß die Zähne eines Lachenden

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