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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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ist. Man hält sich an die Regeln, um den Teufel nicht zu wecken. Ich bete, und ich esse Torten. Beides hat mir nicht geschadet. Ich würde mich hüten, eines davon aufzugeben.
    So, wie im Lukas jede Fraktion sitzt, sitzt dort auch jede Konfession, selbst die Agnostiker. Nur die Kommunisten nicht, nicht mehr. Aber man sieht ja, was aus denen geworden ist, glücklicherweise. An die Konditorei Lukas zu glauben hat nichts mit Religion zu tun. Aber dort hinzugehen und dann nicht an sie zu glauben, das wäre dumm. Und gefährlich.«
    Es entsprach Cernys Art, die Leute reden zu lassen. Soviel Zeit mußte sein, daß sie sich verplauderten, sich redend freilegten, sich selbst sezierten. Deshalb hörte er sich diesen Unsinn an. Der Wein ging in Ordnung. Er steckte sich eine Zigarette an, was er schon lange nicht mehr getan hatte. Entweder Fiebermessen oder Rauchen. Dann fragte er: »Wiese, Hufeland. Waren das auch Gläubige?«
    »Selbstverständlich.«
    »Die sind jetzt aber tot.«
    »Da haben Sie leider recht. Und das ist wahrlich bitter. Aber ich habe nie behauptet, Frau Lukas fungiere als Schutzengel. Schließlich glaube ich ja auch nicht, nur weil ich bete, kann mir kein Unglück geschehen. Die Frage ist nicht, was mir alles zustoßen könnte, obwohl ich doch bete und Torten esse. Sondern: Was geschieht, wenn ich es nicht tue?«
    Der Bildhauer machte ein verzweifeltes Gesicht, als habe er diese Sicht der Lukasschen Feinbackkunst schon unzählige Male über sich ergehen lassen müssen. Schwieg aber zu alldem. Kaute an einem Objekt, das irgend etwas zwischen einem Radierer und einer kleinen Gummigiraffe darstellte.
    Cerny versuchte ins Weltliche vorzustoßen, wollte von Rad wissen, warum die Freunde Hufeland und Wiese, – der Ältere ein Psychiater und Psychologe, der Jüngere ein Psychoanalytiker, was merkwürdig genug war, eine solche Freundschaft wie zwischen Tinte und Tintenkiller, warum also die beiden hatten sterben müssen.
    »Um meine Vermutung zu begründen«, begann Rad, »muß ich ein wenig ausholen. Wichtig zu sagen: Es gibt auch einen Herrn Lukas, seines Zeichens Bäckermeister. Wie es sich für einen solchen Menschen gehört, bekommt man ihn nie zu sehen. Er steht in seiner Backstube oder in der Küche und fabriziert seine kleinen Wunderwerke. Von Serienproduktion kann da kaum die Rede sein. Seine Frau ist die Hohepriesterin, er der Hexer. Der Mann ist ein Genie, leider ist er auch verrückt, in einem sehr hohen Grad, wie sich nun herausgestellt hat.«
    Rad steckte sich eine Pfeife an, wirkte entgegen seiner tatsächlichen Rolle so, als führe er die Untersuchung. Er schien sich im Lauf seiner Rede immer wohler zu fühlen. Man konnte meinen, er decke gerade eine Geschichte auf, mit der er nicht wirklich etwas zu tun habe, schilderte, wie er an einem Dienstagnachmittag, zwei Wochen vor Weihnachten, zusammen mit Gähnmaul im Lukas gesessen war, bei Schwarzwälder Kirsch und einer Novität, die Major im Schlafrock hieß. Man disputierte ein wenig über Politik und war ansonsten glücklich mit Creme und Schlagobers. Einer von den besseren Tagen, hätte man meinen können. Dann stieß Hufeland zu ihnen, mokierte sich über einen neuen Staatsanwalt, irgendeinen Bengel, der weiß Gott wie durch alle Idiotentests geschlüpft war und sich jetzt Frechheiten herausnahm. Hufeland versprach, er würde sich das Bürschchen schon noch vorknöpfen. Und beruhigte sich schließlich dank Erdbeertörtchen. Wiese erschien. Ein Mädchen an seiner Seite. Ein dürres Ding, das seine Hübschheit bei jedem Atemzug, bei jedem Schritt weiter abzugeben schien. Daß sie kränklich aussah, überraschte nicht weiter. Das war Wieses Geschmack. Seine Freundinnen, die man selten mehr als einmal zu Gesicht bekam, waren allesamt ausgemergelte Gestalten mit bemerkenswerten Nasen. Allerdings täuschte der Eindruck der Nasen. Es war bloß so, daß jeweils Augen, Wangen und Mund nach innen absanken, das Gesicht hinter sich selbst zurückfiel und eben nur die Nase in ihrer angestammten Position verblieb. Doch es war nicht der Fall, daß Wiese auf Kinder stand. Aber das hier war ein Kind. »Sarah Hafner. Ich war baff, als Wiese sie uns vorstellte. Obwohl ich Birgitta recht gut kannte, hatte ich noch nie ihre Tochter gesehen. Ich dachte mir, ach, das ist also die Kleine von der Hafner, und dann überlegte ich, ob denn die Hafner jemals etwas von einer Tochter erwähnt hatte. Schließlich verliert sie auch über ihre Söhne kaum ein Wort. Man kann nicht

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