Tortengraeber
verpflichtet waren, hatte er doch seine hervorragenden Kontakte zur Justiz, und nicht nur diese, dazu benutzt, seinen Spezis gewisse Schwierigkeiten zu ersparen. Auch dem vergleichsweise harmlosen Gähnmaul, der in Zeiten existentieller Nöte sein Talent mißbraucht hatte, um Figuren zu schnitzen und zu präparieren, die als Originale von Veit Wagner, Pedro Millán und sogar Tilman Riemenschneider auf den Markt gelangt waren und sich dort auch prächtig behauptet hatten. Handwerklich gesehen eine Großtat, aber leider nicht rechtens. Zudem: Keine Behauptung währt ewig. Ein Kölner Auktionator enttarnte eine entzückende niederländische Alabastermadonna, die auf Anfang 15. Jahrhundert datiert worden war, als Fälschung, und irgendein kriminalistischer Ehrgeizling verfolgte die Spur des Objekts bis zu Gähnmaul zurück. Für Hufeland war es freilich eine Kleinigkeit gewesen, den »Irrtum« aufzuklären und den Bildhauer aus dem Morast böser Verdächtigungen zu ziehen. Und um die Freundschaft auf die Spitze zu treiben, hatte er Gähnmaul auch noch geholfen, dessen finanzielle Unpäßlichkeiten zu bereinigen. Durfte ein solcher Dienst vergessen werden? Von Rad und Wiese zu schweigen, die sich mehr hatten zuschulden kommen lassen als notorisches Übertreten von Geschwindigkeitsbegrenzungen. Die drei Herren konnten gar nicht anders, als unter Protest einen freundschaftlichen Gegendienst anzutreten. Sosehr die Vorstellung sie auch ekelte. Mit einem toten Mädchen wurden irre Triebtäter, korrupte, abartige Politiker und die Sklavenhalter der Pornoindustrie assoziiert, wie man so sagte: Bestien in Menschengestalt. Und als solche wollten sie nun wahrlich nicht gelten.
Hufeland befand sich nach dem ersten Schrecken wieder in der Laune des Spielers. Er hatte von der Inhaftierung Vavras erfahren, auch von dessen wilder Geschichte, die niemand glauben wollte. Die untersuchenden Beamten waren unglücklich mit ihrem Fang. Aus Vavra war nichts herauszuholen. Er bestand darauf, ein Geldschein sei an allem schuld. Der Mann gab im doppelten Sinn nichts her. Doch Hufeland fragte sich: Warum nicht Vavra nehmen?
Er hatte in Erfahrung gebracht, an welch hospitalitärem Ort man den Untersuchungshäftling untergebracht hatte, und schickte nun Wiese in der Rolle des Anwaltes Grisebach los. Grisebach sollte Vavra zu einem Geständnis drängen. Auch wenn unsensible Polizisten den Häftling nicht mürbe bekamen, so war er vielleicht in der nachdrücklichen Umarmung eines charmanten Advokaten bereit, sich ein nie begangenes Verbrechen einreden zu lassen.
Wer hatte nicht Angst vor sich selbst, Angst davor, etwas getan zu haben, an das man sich nicht mehr erinnern konnte? Wenn Vavra seinem Anwalt einmal gestand, er hätte das Mädchen entführt, würde er dies auch vor der Polizei aussagen. Und dann wäre der Hungertod des Mädchens durchaus plausibel.
Natürlich weigerte sich Wiese anfänglich, fand die Idee verrückt, brüllte Hufeland an, er sei geisteskrank. Hufeland lächelte milde, als könne er mit einem solchen Vorwurf durchaus leben, klopfte dem Jüngeren beruhigend auf die Schulter und meinte, die Sache würde schon glattgehen, Vavra weich werden, formbar, sich seine dunkle Seite eingestehen.
Vavra tat dann noch viel mehr. Er verriet, wo er die Entführte versteckt halte. Er gab der gar nicht vollzogenen Tat einen Tatort.
Um nun Fiktion und Wahrheit anzugleichen, eigentlich aber, um seinem Übermut einen weiteren Ausdruck zu verleihen, arrangierte Hufeland die Überführung der Leiche in die Taubenhofgasse. Gähnmaul wußte von den vielen leerstehenden Wohnungen in jenem Haus, in dem bis vor kurzem einer seiner Freunde, ein verkrachter Antiquitätenhändler, gelebt hatte, zwar nicht in Haus Nummer 3, sondern im Nebengebäude, aber auf solche Kleinigkeiten würde es wohl nicht ankommen. Wenn man einige deutliche Spuren legte, würde die Polizei schon ins richtige Gebäude finden.
Der Nichtwiener mag sich fragen: Wie ist das möglich? Wie kann einer sich als Anwalt ausgeben, in die mit Hafträumen ausgestattete Abteilung eines Spitals marschieren und dann auch gleich in die Zelle eines so wichtigen Verdächtigen, dort getrost seine Arbeit verrichten und wieder von der Bühne verschwinden, als hätte er nie existiert? Nun, wenn einer sich als Dr. Irgendwas ausgibt und dabei nicht aussieht wie ein Bademeister, kann er alles. Nicht wie ein Bademeister auszusehen – das ist die Schwierigkeit, an der so viele scheitern. Nicht aber
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