Tortengraeber
festhielt als mit diesem steuerte, erzählte er von Herbart Hufeland. Wieses Version der Ereignisse hatte sehr wenig mit jener zu tun, welche Rad später Cerny und Resele darbieten würde. Aber das konnte Vavra ja nicht wissen, weshalb er geduldig zuhörte.
Wiese erklärte, daß es Hufeland gewesen war, der die Entführung Sarah Hafners veranlaßt hatte, nicht aus finanziellen Überlegungen, sondern um den Druck loszuwerden, den Marit Hafner, die beinahe neunzigjährige Familienpatriarchin, auf ihn ausgeübt hatte. Ihre Altersschwäche hielt die Dame nicht davon ab, sich in die Belange der Sippe einzumischen. Sie hatte es einst verstanden, ihre gegen das väterliche Schicksal aufbegehrenden Söhne an die Kandare zu nehmen und ihnen Gelehrtenschicksale aufzudrängen, mit jener Unerbittlichkeit, mit der sie auch die beiden von Birgitta als Kindsväter vorgeführten Gestalten aus dem Verband befördert hatte. Und sie war nun keineswegs gewillt – schwerhörig, aber noch lange nicht taub, halbseitig gelähmt, aber eben nur halbseitig –, einfach zuzusehen, daß ausgerechnet Herbart Hufeland, den sie für einen gerissenen Schurken hielt und der ihr selbst ganz gut gefiel, sich mit Erfolg an ihre Tochter und Nachfolgerin heranmachte. Weshalb Marit Hafner dem für seine Gutachten und seine Suizidforschung berühmten Hufeland eine verbrämte, aber eindeutige Drohung zukommen ließ, welche dieser nicht einfach ignorieren konnte, da die Biographie der Dame den Verdacht zuließ, daß sie sich – wie er selbst – gerne und gewandt abseits üblicher Regeln duellierte. Und es stets verstanden hatte, den Haushalt von männlicher Einflußnahme reinzuhalten. Eine solche Frau durfte man gerade im Alter nicht unterschätzen. Hinterlist und Bösartigkeit reiften wie gute Weine. Allerdings war Hufeland weit davon entfernt, seine Wirkung auf Birgitta Hafner einzuschränken. Dieses Bollwerk von einer Frau war ihm verfallen. Zumindest war das seine Sichtweise. Darin erkannte er den Höhepunkt seines Alterswerkes, quasi ins Glas einzuheiraten, es sich mit österreichischer Verschlagenheit zwischen deutschem Glas bequem zu machen und auf diese Weise auch gleich eine lang gediehene Weiberherrschaft zu beenden. – Der Veteran der Wiener Psychiatrie als charismatischer Glasbaron.
Eine solche Zukunft wollte sich Hufeland von einer greisen Amazone nicht gefährden lassen. Er kannte diesbezüglich nicht die geringsten Skrupel, im Gegenteil, es reizte ihn. Und um zu demonstrieren, daß er auch vor drastischen Lösungen nicht zurückschreckte, ließ er Sarah Hafner entführen, ein Auftrag, der sozusagen über drei Ecken lief. Wobei dem Mädchen nichts passieren sollte. Mehr ein Ausflug. Weg von der Mutter, die – nach Hufelands Überzeugung – so eine Entführung auch nicht aus der Ruhe bringen würde. Wichtig war nur, daß die alte Hafner begriff. Und sie begriff sofort. Nachdem die Entführer sich gemeldet hatten, stand Hufeland, der väterliche Freund, an der Seite Birgittas, die sehr wohl Nerven zeigte, angeschlagen wirkte, dann wiederum gereizt, als sei ihr die Sache bloß lästig. Die Alte wurde hereingeschoben. Sie war die einzige, welche die widerspenstige, dünne Sarah wenn schon nicht liebte, so doch in ihre Überlegungen einschloß. Schließlich mußte die Dynastie fortgeführt werden, und zwar sicher nicht von den beiden politischen Brüdern, gegen die mehr sprach als bloß das falsche Geschlecht. Ebensowenig eigneten sich deren im Nagellack erstarrte Gattinnen. Niemand außer Sarah kam in Frage.
Die Blicke der Duellanten begegneten sich. Hufeland schenkte der Frau im Rollstuhl ein kurzes, beredtes Lächeln, ein Lächeln, mit dem er voll Stolz auf sich zeigte, mit dem er sagte: Jawohl, dazu bin ich fähig. Der alten Hafner war augenblicklich klar, wer hinter der Entführung steckte. Sie betrachtete Hufeland mit resignativer Verachtung. Sie hatte sich in ihrem Leben einiges geleistet und war es durchaus gewohnt, daß die Wahl der Waffen eine freie Wahl bedeutete. Aber dieser Mann überraschte sie. Sie hatte ihn für unbarmherzig, aber nicht für unberechenbar gehalten. Das war wohl ein Irrtum gewesen. Die Einsicht kam zu spät, sie hatte verloren und zog die Konsequenzen, indem sie sich routiniert in einen weiteren Schlaganfall flüchtete, sowenig tödlich wie die vorhergehenden, aber diesmal mit beträchtlichen Folgen für ihre intellektuellen Möglichkeiten.
Freilich, die Sache mußte dennoch durchgezogen werden. Entführungen
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