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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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deutete die Stelle an, an der sich einst ein Doppelbett befunden hatte. In diesem Bereich stand als einziges Objekt ein Schaukelstuhl, altdeutsch, massiv, aber so massiv nun auch wieder nicht, um stumm zu bleiben, als jetzt Wiese seinen schweren Körper in dem Möbel unterbrachte und eine Zeitung entfaltete, als sei dies der ruhigste Tag in seinem Leben. Gewissermaßen würde er es auch werden.
    Vavra war auf die andere Seite des Zimmers gewechselt und sah durch das vor Dreck beinahe blinde Fenster auf einen Hof hinaus, kleiner als jener, durch den sie gekommen waren, und der einzig eine Teppichklopfstange beherbergte. Von der metallenen Latte baumelte an einem Strick etwas, das Vavra nicht erkennen konnte. Ein totes Huhn vielleicht, oder eine Ratte von der Größe eines Huhns. Da war ein Schwanz, was aber auch genausogut Teil des Strikkes oder ein herabhängendes Bein sein konnte. Der Anblick erschien ihm symptomatisch für sein Schicksal: Tatsächlich konnte er nicht sagen, was er da eigentlich sah. Er fühlte sich unwohl. Bereute, mitgekommen zu sein. Was ging ihn diese Geschichte noch an, die nun in einer lächerlichen Erpressung der Erpresser, in einem Folgeverbrechen münden würde? Was hatte er hier verloren? Er wandte sich um, wollte weg. Das Knarren des Stuhls besaß die Klangfarbe brechender Äste, übertönte die Schritte Vavras, aber auch die Schritte der Person, die nun ins Zimmer trat, während Vavra halb hinter der schräg in den Raum weisenden Tür zu stehen kam, in der Erkenntnis erstarrte, daß es für eine Verabschiedung zu spät sei. Er befand sich also im Rücken der eingetretenen, kleinwüchsigen Gestalt, die einen violettstichig-dunkelbraunen Ledermantel trug, auf dem Kopf eine schwarze Baskenmütze. Das Fell auf den Stiefeln glänzte.
    Wiese hob seinen Kopf, als sei er eben erwacht. Aber es war kein sanftes Erwachen. Seine Lider sprangen auf wie gebrochene Schalen, dahinter unruhige Augen.
    »Was tust du hier?« fragte Wiese.
    »Die Sache aus der Welt schaffen.« Es war die von vielen Unmäßigkeiten geschundene, aber trotzdem kraftvolle Stimme eines älteren Mannes.
    »Wie soll ich das verstehen?«
    Wiese versuchte sich mitsamt der noch immer auf seinem Schoß ausgebreiteten Zeitung zu erheben. Sein Gegenüber machte einen Schritt auf ihn zu und fuhr den linken Arm aus. Vavra konnte nicht sehen, ob der Mantelträger Wiese anfaßte, auf jeden Fall blieb der Analytiker in seinem Sessel. Als hätte ihn der bescheidene Versuch einer Bewegung derart angestrengt, kam sein Atem schwer.
    »Wir hätten das nie tun dürfen«, sagte der kleine Mann, nahm auch die zweite Hand aus der Tasche seines Mantels und trat hinter Wiese. Etwas blitzte auf. Größer als ein Schlüsselanhänger. Länglicher als ein Zigarettenetui. Vavra hatte keine Zeit für einen zweiten Blick. Denn um der Gefahr zu entgehen, entdeckt zu werden, trat er einen Schritt zurück, so daß er vollständig hinter der Tür verschwand.
    »Heiliger …«, stöhnte Wiese. Was nun folgte, war eine Aneinanderreihung von Geräuschen, die Vavra so schwer einordnen konnte wie das Objekt, das von der Teppichstange baumelte. Das Reißen einer Naht, ein kurzes Gurgeln, ein umgestürztes Glas. Danach wieder brechende Äste. Vavra vernahm Schritte, die sich aus dem Raum bewegten. Als er von fern das Rauschen eines Wasserhahns vernahm, vermutete er den Mann, von dem er bloß den ledernen Rücken kannte, in der Küche, weshalb er es wagte, hinter der Tür hervorzusehen. Der Anblick, der sich ihm bot, war wenigstens eindeutig. Wieses Hals klaffte wie eine weit geöffnete Blüte. Beachtliche Mengen von Blut hatten sich über Kleidung, Zeitung und Boden verteilt. Das Ganze wirkte arrangiert, vor allem, weil Wiese noch immer die Zeitung hielt, der Stuhl noch immer leicht schaukelte und der Kopf so weit zurückhing, als sollte das nun bedeutungslos gewordene Gesicht vollends hinter der Schnittwunde zurücktreten. Wie üblich: Das Bild der Wirklichkeit mutete grotesk an. Als handle es sich um einen miserablen Film, der weder über die Ausstattung noch die Schauspieler verfügte, um glaubwürdige Szenen anzubieten. Oder um ein Suchbild: Wie viele Fehler entdecken Sie auf diesem Bild? Die Wirklichkeit scheint stets mit Fehlern gespickt.
    Vavra war erstaunt. Übel aber wurde ihm nicht. Nicht angesichts von Blut und Fleisch, das so künstlich wirkte. Auch der Tod als solcher schreckte ihn wenig. Wiese würde nie wieder einen englischen Sportwagen fahren. Darin

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