Tortengraeber
Suche nach Gewißheit eine Sünde sei. Doch die drei Herren verpatzten ihren Auftrag, wobei die Umstände im dunkeln blieben.
Im übrigen mußte sich Hufeland darauf verlassen, daß die Sache einschlief. Und auf seiten der Behörden tat sie das ja auch.
So in etwa beschrieb Wiese die Vorfälle. Seinen Freund Aston Martin steuernd, bestand er darauf, ein wahrer Psychoanalytiker zu sein, den man zur Darstellung eines Juristen gezwungen hatte. Er faßte Vavra kurz am Arm und sagte: »Sie sind nicht der einzige.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich hatte soeben ein sehr unerfreuliches Telefongespräch.«
»Telefonieren ist gefährlich, ist mir aufgefallen.«
»Ein Mensch mit verstellter Stimme hat behauptet, er wüßte Bescheid. Ich hab’ mir zunächst gedacht: Sie schon wieder. Aber dann würden Sie sich ja kaum die Mühe machen, meinen Wagen zu bedrohen. Es muß also noch jemanden geben. Er hat verlangt, daß wir uns in der Taubenhofgasse treffen, in der Wohnung, die über dem Keller liegt. Eine unmögliche Situation. Ich hab’ ja gewußt, daß etwas schiefgehen wird. Und jetzt hat sich also einer gefunden, dem es beliebt, mich zu erpressen. Einer findet sich immer. Und wie ist es mit Ihnen, Vavra, was wollen Sie herausschlagen?«
Vavra überlegte. Was sollte er mit dieser angeblichen Wahrheit anfangen, jetzt, wo sie wie ein erlegtes Tier zu seinen Füßen lag, erlegt, aber nicht ausgenommen, dickhäutig, unmöglich mit zwei Menschenarmen in die Höhe zu stemmen? Was konnte man mit einem solchen Kadaver anfangen, mitten in der Steppe oder wo man sich da befand, auf jeden Fall weitab eines fleischverarbeitenden Betriebes, ohne Werkzeug, nun, mit einem Mal, auch ohne Hunger?
»Ich will dabeisein. Das reicht fürs erste«, sagte Vavra.
Wiese nickte. Es war ihm nur noch wichtig, daß sein Wagen keinen Schaden nahm. Mit einer Form von Fetischismus hatte dies seiner Meinung nach überhaupt nichts zu tun. Wer wollte schließlich tatenlos zusehen, wie man seinen Tizian zerkratzte? Und daß ein Aston Martin DB 2 mit prächtigem Reihensechszylinder aus dem Jahre einundfünfzig einem Tizian gleichzusetzen war, stand für Wiese außer Frage. Die Möglichkeit, ein wahres Kunstwerk auch zu benutzen, gerade darin zeigte sich die Überlegenheit des 20. Jahrhunderts. Die eigentliche moderne Kunst bestand nicht in Bildern, Skulpturen, in Sprachexperimenten oder Filmen, die sogenannte Avantgarde war bloß ein Skelettrest. In wirklich moderner Kunst lebte man, darauf saß man, machte es sich vor ihr gemütlich, vor dem Fernsehapparat, der Stereoanlage, und am allerbesten war es, sich in die moderne Kunst hineinzusetzen und durch die Gegend zu fahren, welche solcherart Teil der Kunst wurde, in der Art eines Hintergrundes.
Wiese parkte den Wagen gegenüber dem Schlüsseldienst, der also noch immer existierte, allerdings zu den Vorkommnissen in dieser Gasse in keiner Weise beigetragen hatte.
»Der schlechteste Ort, um sich zu verabreden«, sagte Wiese, als er nun mit Vavra durch den offenen Hauseingang trat, an dem soeben eine neue Gegensprechanlage installiert wurde. Dennoch: Ein Gedanke Wieses wirkte wie ein Sedativ: daß seinem Wagen nun nichts mehr geschehen konnte. – Daß selbiger Wagen wenig später von einer beträchtlichen Dachlawine getroffen wurde, woraus eine verbeulte Motorhaube resultierte, brauchte Joachim Wiese nicht mehr zu erfahren.
Die Tür der Parterrewohnung war unversperrt. Im Vorraum stapelten sich verdreckte Kartons, zwischen denen sich Wiese hindurchzwängte. Vavra blieb in seinem Schatten. Im nicht minder verstaubten und vollgeräumten Wohnzimmer starrten beide auf das merkwürdige Objekt aus verrostetem Draht, welches auf dem Konzertflügel stand und das den Charakter einer Falle hatte. Eine Falle wofür, für wen? Eine Falle für einfältige Mäuse oder einfältige Gedanken?
Aus der Küche drangen zwei kurze, unmittelbar aufeinanderfolgende Geräusche einer kreiselnden Bewegung. Vielleicht die nach unten gedrückte und wieder aufwärts rotierende Scheibe eines Aschenbechers. Danach, eindeutiger, das Klirren eines in die Spüle gestellten Glases. Wer auch immer sich in der Küche befand, hielt es nicht für nötig, dies zu verheimlichen. Wiese blickte mit müden Augen in die Richtung des Klangs, schritt dann aber durch zwei kabinettartige Räume in einen größeren, in dem eine überraschende Leere die Luft auch nicht besser machte. Ein großer, heller Fleck auf dem Parkettboden, beinahe quadratisch,
Weitere Kostenlose Bücher