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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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sich darum kümmern, daß Wedekind wieder einer ordentlichen Beschäftigung nachgehen könne.
    Woran Wedekind nicht glauben mochte. Doch zwei Wochen später meldete sich ein Anwalt Grisebach, der ein Geschäft vorschlug. Ein einziger Anruf sei zu tätigen, welcher aus taktischen Gründen von einer unbeteiligten Person durchgeführt werden müsse. Ein Klacks, der gut bezahlt werde.
    Wedekind ließ sich nur ungerne auf eine Sache ein, die, gelinde gesagt, einen üblen Geruch besaß. Auch wenn sein Beitrag nur ein verbaler sein sollte, so ging es immerhin um Entführung. Kapitalverbrechen waren nie seine Sache gewesen. Außerdem würde er die beiden Brillantringe, die man ihm versprochen hatte, selbst absetzen müssen. Recht bedeutungsloses Diebesgut, wie er befürchtete. Aber ihm blieb keine andere Wahl, wollte er sein Leben nicht weiter als Hundesitter fristen. Er war überzeugt, daß die Organisation hinter dem Auftrag stand, ihm also eine zweite Chance gab, es folglich kaum opportun war, abzulehnen oder auch nur Fragen zu stellen. Niemand brauchte ihn ernsthaft für einen derartigen Anruf. Das Ganze sollte wohl eine Prüfung darstellen. Wenn er parierte, war ihm vielleicht beschieden, demnächst einer geregelten und weniger dubiosen Tätigkeit nachgehen zu dürfen.
    Er traf sich mit Grisebach, einem gemütlichen, dicken Menschen, der untypisch für das Milieu war. Aber der immer stärkere Einbruch der Ober- in die Unterwelt entsprach wohl dem Zug der Zeit. Wedekind erhielt seine Anordnungen und einen Brillantring, der kaum seine Zehntausend wert sein konnte.
    Tags darauf trat er im Hinterzimmer des Café Gabriel in die enge hölzerne Telefonzelle, die zwischen den beiden Reihen von verstaubten Queues stand, welche die Pfändung des Billardtisches überlebt hatten. Wer hier telefonierte, bekam einen Schlüssel und wurde in Ruhe gelassen. Zum vereinbarten Zeitpunkt wählte Wedekind die Nummer, doch noch bevor er sein Sprüchlein loswerden wollte, knurrte irgendein Mensch durch die Leitung: »Zu spät«, dann wurde der Hörer aufgelegt. Wedekind sah auf seine Uhr. War sich keiner Schuld bewußt. Stand hilflos in der Zelle. Überlegte, ob er es nochmals versuchen sollte. Entschied sich dagegen. Etwas war schiefgelaufen. Oder war vollkommen richtig gelaufen und würde sich nun wie eine rasende Walze auf ihn zubewegen. Von einem Ende der Buße konnte wohl keine Rede sein. Als er das Lokal verlassen wollte, kamen zwei ehemalige Kollegen zur Tür herein, Kollegen, nicht Freunde, die nun aber darauf bestanden, das Wiedersehen zu feiern. Wedekind erklärte, er sei in Eile.
    »Aber Wedekinderl, net wirklich«, sagte der mit dem Schmirgelgesicht und half Wedekind auf einen Sessel, so wie man einen Korken in die Flasche dreht. Drei Biere wurden bestellt. Als Wedekind nach dem Henkel fassen wollte, legte der andere die Hand auf die Öffnung des Glases, so daß der Schaum wegspritzte, und sagte im Ton eines Pädagogen: »Zeit lassen.«
    Wedekind nickte. Die beiden Männer lächelten sich zu wie ein Turniertanzpärchen. Dann faßten sie nach ihren Gläsern. Ihre Augäpfel bewegten sich in gleichmäßigem Takt. Sie hatten nicht Wedekinds Zeit, weshalb sie ihre Biere in wenigen, raschen Zügen verabschiedeten. Dann erhoben sie sich und sahen zum Wirt, der seinen Schädel in die leere Spüle hielt, um derart zu bekunden, daß er ja gar nichts gesehen haben konnte.
    Schmirgelgesicht beugte sich zu Wedekind: »Göl, Wedekinderl, du bleibst no a bisserl.«
    Wieder nickte Wedekind. Nachdem die beiden gegangen waren, trank er sein Bier, bestellte ein neues. Die Freiheit nahm er sich. Jegliche Aufregung war verflogen. Er saß da und wartete, gedankenlos, sich einzig dem Genuß und der betäubenden Wirkung des Gerstensaftes hingebend. Natürlich: auch Zeit, die man läßt, vergeht. Nacht für Nacht wurde es zwei Uhr. Selbst in dieser Nacht. Etwas legte sich schwer auf seinen Nacken. Er erwachte aus einem angenehmen, leichten Traum, der wie ein leeres Buch gewesen war. Der Wirt stand an seiner Seite, zuckte mit den Schultern und erklärte, daß er jetzt das Lokal schließen müsse.
    Als Wedekind die Alxingergasse hinunterging, fiel ihm der Geländewagen auf. Darin saßen Schmirgelgesicht und Partner. Das Panzerfaustartige ihrer Visagen schien aufgeweicht. Es war ihnen unerklärlich, daß Wedekind nicht verhaftet worden war. Ihr Befehl hatte gelautet, ihn in das Wirtshaus zurückzudrängen und seine Festnahme abzuwarten. Ihr Befehl lautete

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