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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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aber nicht, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und den Kerl an der nächsten Polizeistation abzuliefern. Sie fühlten sich wie zwei Soldaten in der Wüste, die auf ein Zeichen aus dem Hauptquartier hoffen.
    Wedekind blieb stehen, sah zu ihnen hinein. Gerne wären sie nach draußen gekommen, um ihm ins Gesicht zu steigen. Doch selbständige Entscheidungen standen den beiden nun einmal nicht zu. Mit wütenden Handbewegungen deuteten sie ihm an, daß er weitergehen solle.
    Es schien Wedekind, als hätte man ihn vergessen. Er sank zurück in den Alltag der Hunde. Über den Fall Sarah Hafner las er hin und wieder, wollte sich aber lieber nicht vorstellen, daß sein versuchter Anruf mit dieser Sache zu tun hatte. Er wollte sich gar nichts vorstellen.
    Als er Gigerer das nächste Mal sah, war das vor dem Tor des Neustifter Friedhofs. Der Siebente – in geradezu dezentem Goldocker, wären da nicht Lederhandschuhe von rokokoscher Raffinesse gewesen – befand sich in Begleitung einer Witwe, die er stützen mußte, nicht der Trauer, sondern des schlammigen Bodens wegen. An Wedekind sah er vorbei. Minuten später kam er zurück, diesmal alleine, fuhr einer der Doggen zärtlich über den Kopf und setzte sich zu Wedekind auf die Bank.
    »Ich hab’ auch vier Kinder«, sagte Gigerer, zog an seiner Zigarette, als wäre das der erste ruhige Moment an diesem Tag.
    »Deutsche Doggen?«
    »Du, das wär’ vernünftiger.«
    Wedekind war sich nicht sicher, wie das zu verstehen sei. Beließ es dabei. Man schwieg ein wenig vor sich hin, wie nur Männer aus Wien schweigen können, ohne jeden Hintergedanken. Der Siebente erhob sich.
    »Auf solche Hunderln aufpassen, du, das ist nicht übel. Das ist nicht das Schlechteste, was einem passieren kann. Du, halt dich im Hintergrund, versprich mir das.«
    Nichts anderes hatte Wedekind vorgehabt.
    Doch dann kam der Tag, da Wedekind meinte, er sei noch nicht weit genug nach hinten gerückt. Flankiert von seinen vier breitköpfigen Rüden stand er in vormittäglicher Kälte und hatte soeben eine Zeitung erstanden. Ohne auf die schreiende Titelseite zu achten, schlug er das Blatt auf, wo nicht minder geschrien wurde. Mord! Mord! stand da in großen Lettern und besaß auf den ersten Blick die Färbung einer Jubelmeldung, etwa wie Tor! Tor! , was der Sache beinahe ebenso nahe gekommen wäre. Darunter ein Foto, darauf ein weißhaariger, stämmiger Mann, derart weißhaarig und vollbärtig, daß sich das Faktum eines wissenschaftlich tätigen Menschen bereits aus dem Optischen ergab. Den Kopf nur leicht vorgeneigt, übernahm er soeben den Glückwunsch eines sein Gesicht verkrampft ins Freundliche wendenden Bundespräsidenten, der, obwohl den Kopf naturgemäß aufrecht haltend, etwas von einem schlaksigen Lakaien besaß. Daneben ein kleineres Foto, derselbe weißhaarige Mann, so aufgenommen, daß seine berühmte Stirn voll zur Geltung kam, von der ja behauptet wurde, sie besitze Leuchtkraft. Diese war nun allerdings erloschen. Der Mann war auf offener Straße hingerichtet worden, laut Kommentar eine Unsitte, die in letzter Zeit überhandnahm, ein übles Nebenprodukt der Wiener Weltstadtwerdung, schlimm genug, doch war diesmal nicht irgendein dubioser ausländischer Geschäftsmann das Opfer, sondern ein ehrenvolles Mitglied der Wiener Gesellschaft – Herbart Hufeland.
    Wedekinds Freude währte nicht lange, da er auf der gegenüberliegenden Seite auf die Abbildung des ebenfalls unsanft aus dem Leben geschiedenen Joachim Wiese stieß, unverkennbar jener gemütliche, dicke Mensch, der sich Grisebach genannt hatte. Befreundet seien sie gewesen, der Grandseigneur der Gerichtssaaldramaturgie und der wesentlich jüngere Wiese, der es verstanden habe, das Phänomen der Eßstörungen abseits der bekannten Wehleidigkeit zu behandeln. Daß die beiden nur kurz hintereinander Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen waren, könne einfach kein Zufall sein. – Das fand auch Wedekind. Und war keineswegs durch den Umstand zu beruhigen, daß das sogenannte Gesetz der Serie in Wien gewütet hatte, derart, daß eine beträchtliche Massenkarambolage und eine aufgebrochene baubehördliche Ungereimtheit ins Kleingedruckte abgerutscht waren. Denn noch am selben Abend dieses unheilvollen Tages hatte das vermeintliche Gesetz mit aller Wucht zugeschlagen. Ein Waffenlager war explodiert und mit diesem das Gähnmaulsche Atelier. Ein Ereignis, das aufgrund der hohen Opferzahl, der als gegeben angenommenen polizeilichen Unbedarftheit und

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