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Tortengraeber

Tortengraeber

Titel: Tortengraeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Geschehens sein Auskommen finden, für sich und jene wunderbare Frau, die er, der Junggesellenidylle müde, demnächst ehelichen wollte. Angebote, einer der bestehenden Organisationen beizutreten, lehnte er freundlich ab. Aber so freundlich konnte er gar nicht sein. Das war nicht die Zeit, da Sekundärtugenden viel zählten. Zwei Tage vor der Hochzeit kam die Polizei durch seine Tür. Er war es nicht gewohnt, wie ein Schwerverbrecher behandelt zu werden, sein Verhältnis zur Exekutive war im Grunde herzlich. Er gehörte zu den Leuten, die stets mit jener gewaltfreien Akkuratesse behandelt worden waren, die hiesigen Beamten von linken wie rechten Nihilisten so gerne abgesprochen wird. Doch jetzt lag der Fall anders. Man beschuldigte ihn, am Einbruch in ein Innenstadtapartement beteiligt gewesen zu sein, in dessen Folge der Wohnungsbesitzer, ein ungarischer Geschäftsmann, erschlagen worden war. Als Komplizen hatte man die Herren Ozegovic und Grigoriadis festgenommen. Nicht nur, daß Wedekind die beiden nicht kannte, hätte den Ermittlern bekannt sein dürfen, sondern auch, daß er – ging er einmal nicht solo zu Werke – sich ausschließlich rein österreichischen Gemeinschaften anschloß. Keineswegs aus einem Ressentiment heraus, sondern aus Prinzip. So wie übrigens auch Ozegovic und Grigoriadis, die bisher ebensowenig voneinander gehört hatten wie von Wedekind und niemals außerhalb der eigenen ethnischen Gruppe auch nur Karten spielten. Dennoch waren die Beweise auf eine ausgesprochen lächerliche Weise erdrückend. Es sah geradeso aus, als hätten die Herren Verbrecher am Tatort biwakiert. Der Prozeß ging so sauber vonstatten wie der Schnitt mit einer verdreckten, aber allemal scharfen Klinge durch einen Blütenstengel. Die Verteidigung zeichnete sich durch jene vornehme Zurückhaltung aus, mit der man nicht gerade berühmt wird. Aber das war ja auch nicht der Prozeß, um berühmt zu werden. Einbruch mit einem in keiner Weise mysteriösen Totschlagdelikt. Nichts, was irgendeine Woge verursacht hätte. Die Figur des Ungarn blieb konsequent verschwommen. Von den Verurteilten kam Wedekind zwar am besten davon, aber das half ihm wenig. Er wußte ja, daß seine Verlobte nicht warten würde. Tat sie auch nicht. Einer der Gründe, daß Wedekind im Gefängnis nicht so recht glücklich wurde. Zudem wurde er gemieden, sogar angefeindet. Es hatte sich herumgesprochen, daß er das Verbrechen kaum begangen haben konnte. Das machte ihn verdächtig, verlieh ihm den Anschein des Undurchsichtigen, des Unreinen. Auch unter Häftlingen galt: Niemand landet grundlos im Gefängnis. Da aber Wedekind das ihm zur Last gelegte Verbrechen nicht begangen zu haben schien, vermutete man, daß er aus Gründen hier einsaß, die dunkel, schlammig und virulent waren, möglicherweise sogar okkultisch verseucht, und von denen man lieber keine Ahnung haben wollte. Ein interessantes Phänomen: Ganz im Unterschied zum Rest der Gesellschaft war Berufsverbrechern der Okkultismus zuwider.
    Die Jahre vergingen, schleppten sich dahin, Kriechtiere, die immer gerade noch die andere Seite des Weges erreichten, das Gehäuse an den nächsten abgaben und dann verendeten. Die innere Einkehr wich der Fadesse. Wedekind vereinsamte, schrieb dennoch keine Autobiographie. Als markantesten Ausdruck all dieser Jahre bekam er einen Bauch und Haare auf dem Rücken, als wären sie von seinem Hinterkopf abgewandert. Noch immer war er unbeliebt. Aber man ließ ihn in Frieden. Und er ließ sich nichts zuschulden kommen. Die Leitung war froh, ihn vorzeitig loszuwerden. Der Direktor brachte es auf den Punkt: Leute wie Wedekind beeinträchtigen das gute Klima.
    Aber er sollte nicht unwissend aus der Haft scheiden. Wenige Wochen vor seiner Entlassung fand sich ein Mithäftling, ehemaliger Kellner im Churchill, welcher Wedekind über die geheimen Hintergründe seiner Verurteilung aufklärte. Der ungarische Kaufmann – wie nicht wenige Ungarn, die nach Wien kommen, vom Geist der Machtergreifung erfüllt – hatte geglaubt, er könnte das madjarisierte Territorium handstreichartig vergrößern. Wie der Mann sich das auch vorgestellt hatte, zu einfach auf jeden Fall. Denn der Ehrenvorsitzende einer der alteingesessenen Organisationen – in welcher man sich die Ungarn gerne unter habsburgischer Knebelung wünschte –, ein gewisser Herbart Hufeland, zeigte sich auf seine bekannte Art geradlinig und erklärte Appelle an die Vernunft für unangebracht. Die Ungarn seien leider

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