Tortenschlacht
alle noch auf ihren Posten …«
»Gegen den Protest der Mitarbeiter«, ergänzte ihr Mann, »Erika war beliebt, wissen Sie: Wie die sich die Nächte um die Ohren geschlagen hat, damit jeder im Betrieb mal Urlaub an der Ostsee machen durfte …«
»Mhm«, machte Siggi mitfühlend, »das wird natürlich schwierig, in Ihrem Alter noch einen neuen Job zu bekommen.«
»Deshalb wollen wir ja kaufen.« Lutz Wachowiak beugte sich vor. »Wir haben das mal ausgerechnet. Die Miete wird steigen, so oder so. Wenn die an den Westen angepasst wird, können wir einpacken. Die festen Kreditraten aber, die uns die Bank vorgeschlagen hat, wären von mir allein zu deckeln. Allerdings nur, wenn wir uns stark einschränken …«
»… und Sie, Herr Wachowiak, Ihre Arbeit behalten«, setzte Siggi mit Bedenkenträgermiene hinzu, »was nicht sehr wahrscheinlich ist.«
»Meinen Sie?« Lutz Wachowiak sah sein Gegenüber ungläubig an. »Zeitungen werden doch immer gebraucht.«
»Aber keine Setzer in den Druckereien.« Siggi drehte ihm den Computermonitor zu. »Diese Arbeit wird bei uns schon lange mit diesem Kollegen hier erledigt. Glauben Sie mir, bei BILD , Morgenpost und Tagesspiegel setzt niemand mehr die Vorlagen von Hand. Und auch der Berliner Verlag wird sich dieser Technik nicht entziehen können, wenn er überleben will.« Er beugte sich vor. »Hat man Ihnen schon eine Umschulung angeboten, Herr Wachowiak?«
Der schüttelte den Kopf.
»Sehen Sie!« Siggi lehnte sich zurück. »Was wird also passieren: Sie nehmen einen Kredit für Ihr Häuschen auf, können aber bald die Raten nicht mehr zahlen, weil Sie bei der nächsten Rationalisierungsmaßnahme Ihre Arbeit als Drucksetzer verlieren. Die Bank kann dabei nur gewinnen, sie hat ja Ihr Haus. Nur deshalb gewährt sie Ihnen den Kredit. Aber Sie, Herr und Frau Wachowiak, werden darin nicht wohnen bleiben dürfen. – So oder so«, Siggi schüttelte den Kopf, »sieht es schlecht aus für Sie.«
Die Wachowiaks waren am Boden zerstört. Sah so ihre Zukunft in einem geeinten Deutschland aus? Ohne ihr Haus, zwei arbeitslose Fünfzigjährige, die niemand mehr braucht?
»So sieht die Zukunft für viele DDR -Bürger aus«, gab Siggi noch einen drauf, »denn sie alle sind nicht qualifiziert genug für die Herausforderungen der neuen Zeit. – Tja, Sie hätten halt weniger laut ›Die Mauer muss weg‹ schreien sollen.«
»Das haben wir nie«, versicherte Frau Wachowiak eilig, »wir haben da nie mitgemacht, ehrlich!«
»Von uns aus könnte die Mauer noch stehen«, pflichtete ihr Gatte traurig bei, »uns hat es an nichts gefehlt in der DDR . Wenn wir reisen wollten, sind wir in den Thüringer Wald zelten gefahren.«
»Oder in die Tschechei«, sagte Erika, »manchmal an den Balaton nach Ungarn, obwohl es da viel zu teuer war.«
»Selbst das werden Sie sich nun bald nicht mehr leisten können.« Siggi seufzte und deutete auf die Plätzchen. »Greifen Sie zu!«
»Aber …« Die Wachowiaks sahen verzweifelt aus. »Wir haben zwanzigtausend Mark gespart …«
»Was glauben Sie, wie weit Sie damit kommen?« Siggi erhob sich und lief langsam im Raum auf und ab. »In der westlichen Welt? Hier wird einem nichts geschenkt! Der Fehler in der DDR war, dass das Volk immer im Glauben gelassen wurde, man würde schon für es sorgen. Solange es die DDR gab, mag das richtig gewesen sein, doch nun? Jetzt heißt es, für sich selbst sorgen.«
»Aber wie?« Lutz Wachowiak sprang ebenfalls auf und hob hilflos die Arme. »Wir wollen ja für uns sorgen, aber wie? Deshalb sind wir doch hergekommen!«
»Und das war eine gute Entscheidung«, lobte Siggi und drückte Lutz Wachowiak wieder in seinen Sitz. »Vielleicht die beste Ihres Lebens.« Er setzte sich ebenfalls und lächelte beruhigend. »Noch ist ja nichts verloren, nicht wahr? Noch haben Sie Ihre Arbeit und auch etwas gespart. Nun gilt es vorzusorgen. Deshalb sind Sie hier, und das ist gut so.«
»Was sollen wir tun?« Beide sahen Siggi erwartungsvoll an.
»Das werden wir jetzt gemeinsam überlegen«, sagte Siggi und nickte Monika zu. »Zunächst vergessen Sie alles, was mit Krediten zu tun hat. Natürlich könnten wir Ihnen ebenfalls so etwas anbieten, vermutlich weit günstiger, aber damit machen Sie sich nur abhängig – und das wäre in Ihrer Situation das Falscheste.« Siggi nahm zwei bereitliegende Prospekte zur Hand und reichte je einen dem Ehepaar. »Nein, Sie sollten Ihr Geld zusammenhalten und sehen, dass Sie in Ihre berufliche
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