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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G Wachlin
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»Widder sind Schafe. Da bin ich mir ganz sicher.«
    »Wollen Sie sie sehen?« Pawlak öffnete die Gartentür.
    »Unbedingt. Vielen Dank!« Hünerbein zwängte sich durch die Gartentür und folgte dem Mann hinter das Haus zu einem lang gestreckten Holzverschlag. Auf mehreren Etagen waren hier in zwei Dutzend Boxen mindestens fünfzig Karnickel untergebracht – manche davon größer als ausgewachsene Wildhasen – aber kein einziges Schaf.
    »Und wo sind jetzt die Widder?«, fragte Hünerbein.
    »Das sind Widder. Deutsche Widder.« Pawlak holte stolz einen prachtvollen Rammler aus seiner Box. »Sehen Sie sich Jackson an. Mit dem bin ich im Sommer Landesmeister geworden.«
    »Landesmeister«, wiederholte Hünerbein perplex, und ihm war anzusehen, dass er darüber sinnierte, was die jahrzehntelange Teilung mit dem deutschen Volk wohl angerichtet hatte. Das sind die wahren Opfer des Kalten Kriegs, dachte er, wenn sie noch nicht einmal mehr Kaninchen von Schafen unterscheiden können. Und weil er ein höflicher Mensch war, lobte er den Rammler und kraulte ihn hinterm Ohr. »Was für ein schönes Tier. Gibt er auch ordentlich Wolle?«
    »Wieso Wolle?«, fragte Pawlak.
    »Dafür hält man sich doch Schafe, oder?« Hünerbein begann zu ahnen, dass er sich auf schwieriges Terrain gewagt hatte, denn Pawlak erklärte ihm nun nachsichtig, dass Jackson kein Schaf, sondern ein Kaninchen sei. »Die werden nicht geschoren. Den ziehen wir höchstens das Fell über die Ohren.«
    »Der Westberliner Kollege macht gern mal einen Witz«, mischte sich nun Friedrichs ein, »denn natürlich weiß er, dass der Deutsche Widder eine berühmte Zuchtkaninchenrasse ist.«
    »Das wusste ich nicht«, entfuhr es Hünerbein. »Für mich gibt’s Widder nur als Sternzeichen oder als Schaf.«
    »Sehen Sie, das erschüttert mich an unseren Brüdern und Schwestern im Westen«, seufzte Friedrichs. »Immer eine große Klappe, aber Allgemeinwissen gleich null.«
    »Na ja, warum brauchen sie im Westen dreizehn Jahre zum Abitur?« Pawlak sah Hünerbein an und grinste. »Da ist ein Jahr Schauspielunterricht dabei!«
    Friedrichs lachte.
    »Warum gibt’s im Westen sechs Schulnoten?« Pawlak hatte noch einen. »Weil fünf nicht ausgereicht haben!«
    Großes Feixen bei Friedrichs und Pawlak.
    »Und warum dürfen Westdeutsche nicht auf den Eiffelturm?«, wieherten sie einträchtig. »Weil die immer die Hubschrauber füttern!«
    Jetzt reichte es Hünerbein. »Warum haben Ostdeutsche dreiundfünfzig Knochen mehr als Westdeutsche?«, rief er ins Gelächter hinein.
    Pawlak und Friedrichs sahen ihn ratlos an.
    »Weil ihr Gehirn noch mechanisch arbeitet.« Hünerbein grinste breit. »Klapperdiklapp, klapperdiklapp. – Können wir jetzt wieder zum Thema kommen, Herr Pawlak?«
    »Ja, wenn Sie meinen …« Pawlak guckte ernüchtert.
    »Womit füttern Sie denn Ihre Karnickel?«
    »Was, ähm … ja, mit Pellets.« Pawlak öffnete einen Verschlag und zeigte auf mehrere Papiersäcke bundesdeutschen Trockenfutters. »Das Zeug ist unschlagbar. Dazu Möhren, und die Tiere entwickeln sich prächtig.«
    »Mhmhm«, machte Hünerbein und betrachtete sich die Kaninchen, »und wozu haben Sie dann die Wiese gepachtet?«
    »Früher kam man ja an die Pellets nicht ran«, erklärte der Züchter, »da haben uns die Westdeutschen auf internationalen Meisterschaften regelmäßig die Nase gezeigt. Aber jetzt mit der D-Mark …«
    »… herrscht Chancengleichheit«, stellte Friedrichs fest.
    »Sozusagen«, pflichtete Pawlak bei.
    »Dann nutzen Sie die Wiese gar nicht mehr?« Hünerbein schrieb unverdrossen mit.
    »Nein.«
    »Aber Sie zahlen doch Pacht.«
    »Gezwungenermaßen.« Pawlak strich seinem Jackson liebevoll über den Nacken. »Ich habe die Wiese jährlich gepachtet, und Arndt hat immer im Voraus kassiert. Anfang des Jahres wusste ich ja noch nicht, dass wir die Westmark kriegen.«
    »Und damit die Pellets«, präzisierte Hünerbein und sah auf, »richtig?«
    »Genau«, machte Pawlak und setzte seinen Rammler wieder in den Stall zurück. »Und was ist jetzt mit meinem Sohn?«
    Hünerbein verstand nicht. »Mit Ihrem Sohn? Wieso, was soll mit dem sein?«
    »Der hat doch wieder irgendeinen Scheiß verzapft«, rief Pawlak, »deshalb sind Sie doch hier!«
    Nö, wollte Hünerbein antworten, doch wieder kam ihm Friedrichs zuvor: »Wo ist denn Ihr Sohn jetzt?«
    Pawlak zuckte mit den Schultern. »Der Bengel taucht hier nur noch zum Wäsche waschen auf.«
    Von hinten kam Pawlaks Frau heran.

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