Tortenschlacht
aus dem Haus. Ich würde das Fahrrad nehmen, das ich mir vor drei Monaten gekauft habe, um mich mehr zu bewegen. Leider hat man mir schon kurz nach dem Kauf das Vorderrad gestohlen, und nun steht das teure Rad traurig an einen Laternenpfahl gekettet und wird immer weniger. Inzwischen fehlen auch Klingel und Lampen. Auch die teure Shimano-Gangschaltung wurde abgebaut.
So geht alles dahin, denke ich melancholisch, da nutzt selbst das teuerste Fahrradschloss nichts. Ich hätte es gleich in den Keller stellen sollen. Nur wäre es da nie wieder herausgekommen, so gut kenne ich mich.
Ich stecke mir eine Zigarette an und gehe zügigen Schrittes die Belziger hinunter, kaufe am Spätkauf Ecke Eisenacher noch einen Roten zum Anstoßen auf die neue Wohnung und biege Viertel nach acht in die Akazienstraße ein. Vor der Hausnummer achtundzwanzig ist kein Möbelwagen mehr zu sehen. Vermutlich hat die Ärmste jetzt alles selbst hochgeschleppt.
Ich bewundere noch die sehr elegante Jaguar-Limousine, die völlig verkehrswidrig in der Einfahrt geparkt ist, und sehe mir die Klingelschilder an. Natürlich hat sie ihren Namen noch nicht angebracht. Ich drücke blind irgendeinen Knopf, dann noch einen und noch einen – irgendwer wird schon aufmachen.
»Ja, hallo?«, kommt es durcheinander aus der Sprechanlage, »wer begehret Einlass« und »ist da wer?« Dann fangen die Stimmen an, sich zu zanken. »Nun gehen Sie doch mal aus der Leitung?« – »Ja, hat’s bei mir geklingelt oder bei Ihnen?« – »War bestimmt wieder ein Streich von den Sawatzki-Gören!« – »Unterstehen Sie sich, meine Kinder essen gerade Abendbrot!«
Grinsend trete ich ins Haus und trage statt irgendwelcher Möbel meine Rotweinflasche in den vierten Stock.
Oben sind drei Türen, ich nehme die in der Mitte und liege falsch, denn es öffnet niemand. Dann sehe ich, dass links an der Tür ein Zettelchen klebt. »Umzug Droyßig« – na bitte, da haben wir es doch.
Ich klingle erneut, höre im Flur schwere, für Monika zu schwere Schritte und stehe, als die Tür geöffnet wird, ihrem beknackten Exmann gegenüber. Super! Der hat mir gerade noch gefehlt.
»Dieter!« Siggi strahlt und will mich umarmen. Aber er ist weder Italiener, noch bin ich sein Freund.
»Ist Moni da?« Ich weiche etwas zurück.
»Klar. Komm rein!« Siggi tritt zur Seite und macht eine einladende Handbewegung. Er hat sich verändert. Sorgsam gestutzter Dreitagebart, das früher militärisch kurz geschnittene Haar ist länger geworden. Er trägt eine randlose Brille und ist gekleidet wie ein existenzialistischer Bohemien, der es zu was gebracht hat. Schwarzer Rollkragenpullover und Bundfaltenhosen, dazu ein edles anthrazitfarbenes Sakko und teure italienische Slipper. Mit lässiger Eleganz führt er mich durch abgebeizte Flügeltüren in zwei aneinandergrenzende Zimmer, selbstsicher und locker wie ein zu Wohlstand und Ansehen gekommener Altachtundsechziger, der sich mit den Verhältnissen arrangiert hat.
»Monika, sieh mal, wer hier ist!«
»Bist spät«, stellt sie fest und gibt mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. In Jeans und T-Shirt sieht sie entschieden jünger aus als im Thierry-Mugler-Kostüm. »Wie gefällt’s dir?«
»Gut«, nicke ich und sehe mich um. Tatsächlich ist die Wohnung sehr schön, mit Stuck an der Decke, Fischgrätparkett, Balkon und Erker. Links geht’s durch das Berliner Zimmer vermutlich in die Küche. Monika hat ihr schönes altes Sofa und den Schaukelstuhl aus Görlitz mitgebracht sowie eine alte hölzerne Truhe mit Eisenbeschlägen und mehrere Sitzkissen. Ansonsten stehen Kisten herum, die noch ausgepackt werden müssen.
»Ich hätte mich ja völlig neu eingerichtet«, erklärt Siggi, »aber unser sensibles Mädchen liebt nun mal ihren alten Kram.«
Bei »unser sensibles Mädchen« legt er ihr den Arm um die Schulter, und es gibt mir einen Stich ins Herz. Überhaupt komme ich mir vor wie ein alter Schulfreund, der nach langen Jahren mal bei seiner Jugendliebe und deren spießigem Ehemann vorbeischaut.
»Tja, also …« Unschlüssig reiche ich die Rotweinflasche rüber. »Alles Gute zur neuen Wohnung.«
»Mhm, ein Rioja«, stellt Siggi mit Kennermiene fest, »den köpfen wir gleich. Zuvor aber …« Er lässt Monika los und deutet auf eine bereits geöffnete Flasche auf der Truhe. »… trinken wir den.« Er sieht sich suchend um. »Wo sind die Gläser?«
»Hier!« Monika kommt mit drei Weingläsern heran.
»Perfekt«, findet Siggi das und schenkt
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