Tortenschlacht
»Ich will ganz offen zu dir sein: Ich bin durch Zufall im Januar auf eine alte Akte über Lahn in unserem Ministerium gestoßen. In den sechziger Jahren war er mal für uns aktiv.«
»Werner von Lahn? Für die Stasi?«
»Ja. Ein Hammer, was?« Siggi lächelt. »Damit hätte man ihn mächtig unter Druck setzen können.«
»Siggi, du bist und bleibst ein Arschloch«, stellt Monika fest.
Dann trenn dich von ihm, denke ich. Noch bist du sauber, vergiss BMW und fette Kohle und komm nach Hause zu deiner Tochter und ihrem leiblichen Vater.
»Alles, wofür ich immer gekämpft habe, ist zusammengebrochen«, verteidigt sich Siggi, »tagtäglich werden alte Rechnungen beglichen. Ich wollte mich mit der Akte absichern. Lahn ist Westpolitiker. Nicht ganz ohne Einfluss. Deshalb habe ich mir eine Kopie gemacht.«
Um ihn damit zu erpressen. So weit, so klar. »Und weiter?«
»Nichts.« Siggi winkt ab.
»Du hast die Akte noch?«
»Wie gesagt, es ist nur eine Kopie.« Siggi schlägt die Augen nieder. »Für alle Fälle.«
»Oh Mann«, macht Monika, doch ihre Stimme klingt keineswegs verächtlich oder vorwurfsvoll. Ganz im Gegenteil, sie nimmt sogar Siggis Hand und sieht ihn mit fast schmachtender Bewunderung an. »Immer noch die alten Stasimethoden, was?«
Unglaublich: Was ist nur aus ihr geworden?
»Okay«, rekapituliere ich und konzentriere mich wieder auf Siggi. »Du triffst dich also geschäftlich mit Lahn, weil du an einigen seiner Immobilien interessiert bist. Gleichzeitig besitzt du die Kopie einer Stasiakte, die ihn als Politiker Kopf und Kragen kosten kann.« Ich lehne mich zurück. »Kann es vielleicht sein, dass du ihn in eurem letzten Gespräch darauf hingewiesen hast? Vielleicht um das Geschäft etwas zu … beschleunigen?«
»Manchmal muss man die Leute zu ihrem Glück zwingen, Die-ter.« Siggi hebt die Schultern. »Von Lahn war in finanziellen Schwierigkeiten. Wir haben ihm angeboten, seine Restitutionsansprüche zu kaufen. Eins Komma acht Millionen. Damit hätte er sich sanieren können.«
»Aber er wollte nicht?«
»Er kann nun nicht mehr«, seufzt Siggi, »und das ist wirklich tragisch.«
Ja, das ist es, denke ich. Siggis Chuzpe möchte ich auch mal haben.
»Also, das war das Thema eures Treffens am Samstagabend«, fasse ich zusammen, »du erpresst ihn mit der Akte, weil er nicht verkaufen will …«
»Er wollte verkaufen«, beteuert Siggi, »nur nicht zu meinem Preis. Und erpresst hat er mich zuerst. Er war dahintergekommen, dass ich beim MfS war, und glaubte wohl, dass mir damit irgendein Strick zu drehen sei. Aber im Gegensatz zu ihm war ich immer hauptamtlich. Ich muss mich nicht verstecken, Dieter. Vor niemandem.«
»Und du hast ihm dann klargemacht, dass er mehr zu verlieren hat?«
»Ich hab nur die Fronten klargestellt«, erklärt Siggi, »wir haben uns da beide nichts geschenkt.« Er lächelt schwach. »Wer austeilt, muss eben auch einstecken können, nicht wahr?«
»Und dann?«
»Dann bin ich gegangen«, antwortet Siggi. »Das war’s.«
»Um wie viel Uhr?«
»Das muss so …« Siggi überlegt. »… um Mitternacht gewesen sein.«
Gut. Ich notiere es mir, trinke mein Bier und erhebe mich. »Wir werden das überprüfen, Siggi.«
»Klar«, nickt der, »macht mal.«
»Bis bald«, verabschiede ich mich, »mach’s gut, Moni!«
»Grüß Melanie von mir!« Sie hält noch immer Siggis Hand. »Ich komm die Woche mal vorbei.«
»Wenn du ihn loslassen kannst.« Ich marschiere zur Tür und mache, dass ich wegkomme.
33 ICH FAHRE ÜBER den Tempelhofer Damm auf den Stadtring und am Kreuz Funkturm auf die AVUS . Ich will in Richtung Wannsee, zur Witwe des Werner von Lahn, fahre aber am Hüttenweg noch mal ab und stoppe kurz vor der Königsallee.
Inzwischen ist es fast zehn Uhr am Abend, aber der Himmel ist sternenklar, und der Mond scheint silbrig durch die hohen Kiefern. Trotzdem nehme ich mir eine Taschenlampe mit und laufe langsam den Hüttenweg zurück Richtung Autobahn.
Nicht, weil ich glaube, noch irgendwelche Spuren zu finden, die Damaschke nicht schon hätte. Es ist eher das Bedürfnis, selbst einmal den Ort des Geschehens in Augenschein zu nehmen. Manchmal gibt es eine Aura des Verbrechens, die am Tatort noch zu spüren ist. Und dann kommen einem Ideen, die nicht immer schlecht sind. – Oder? Werde ich auf meine alten Tage etwa esoterisch?
Da! Das sind die Bremsspuren auf dem Asphalt. Hier war’s also. Hier ist es passiert. Ich sehe im Geiste einen Jaguar den Hüttenweg
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